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Zorn - Tod und Regen

Zorn - Tod und Regen

Titel: Zorn - Tod und Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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Minuten später erreichte der Funkspruch die Rettungsstelle des Stadtklinikums, weitere drei Minuten danach startete der Hubschrauber und nahm Kurs in Richtung Innenstadt.
    *
    Mit einem Mal hörte der Regen auf. Die plötzliche Stille dröhnte durch den Gasometer wie der Nachhall eines Gewehrschusses. Wasser tropfte von den Wänden, von außen drang das leise Rauschen des Verkehrs zu ihnen.
    Stapic lag gefesselt am Boden. Er hatte die Augen geschlossen und bewegte sich nicht. Mahler hockte neben ihm, er hatte die Unterarme auf die Knie gelegt und sah zu Boden.
    »Seit wann weißt du es, Claudius?«
    Zorn zitterte, er bekam Schüttelfrost. Über ihm bildeten die Mauern einen schwarz umrandeten, riesigen Kreis, die Wolken trieben vorbei, sie schienen sich aufgelockert zu haben. Er sah einen gelblichen, verschwommenen Fleck am Himmel, war das möglicherweise der Mond? Er wusste es nicht.
    »Wahrscheinlich schon lange. Ich denke, ich habe es verdrängt, weil ich es nicht wahrhaben wollte. Weißt du, ich hatte das Gefühl, dass wir uns ähnlich sind, du und ich. Wir sind beide Einzelgängertypen und –«
    »Das sind wir vielleicht, aber es gibt einen großen Unterschied«, unterbrach ihn Mahler. »Ich bin zum Einzelgänger geworden, weil mir meine Familie genommen wurde. Du hast keine Familie, und du bist schon immer allein gewesen, Claudius. Du hast dich geirrt.«
    »Das weiß ich jetzt auch. Ich dachte, dass jemand, der mir ähnlich ist, keinen Menschen tötet. Vor allem nicht so bestialisch, wie du es getan hast.«
    Ella Mahler bewegte sich in ihrem Rollstuhl. Ihr Vater machte Anstalten, sich zu erheben, Zorn hob die Waffe und hielt ihn zurück. »Bleib, wo du bist.«
    Er ging zu dem Mädchen und legte ihr vorsichtig die Hand auf die Stirn. Sie atmete tief und gleichmäßig.
    »Du hast mir nicht gesagt, was er von dir verlangt hat, als er das erste Mal bei dir angerufen hat.« Zorn deutete auf Stapic, der sich noch immer nicht regte. »Er wollte, dass du Sigrun Bosch für ihn tötest, richtig?«
    Mahler nickte.
    »Ja. Aber ich habe ihn ausgelacht.«
    »Da hat er Tom entführt?«
    Wieder nickte Mahler.
    Willst du, dass er lebt, Jungchen? Dann töte sie. Du weißt, wie es geht. Erinnerst du dich? Vor neunzehn Jahren hast du schon einmal jemanden umgebracht.
    »Ich habe mich natürlich geweigert, obwohl ich wusste, wozu Sivo fähig ist. Aber ich hätte nie gedacht, dass er Tom tatsächlich töten würde.« Mahler sah auf. Seine Augen glitzerten.
    »Ich habe mich gewehrt, solange ich konnte«, sagte er leise. »Selbst dann noch, als ich Tom in meinem Garten vergraben hatte und er als nächstes Clara vergewaltigt hat. Was hättest du an meiner Stelle getan, Claudius?«
    »Das, was jeder Mensch tun würde. Zur Polizei gehen.«
    »Damit habe ich gedroht. Er hat gelacht. Dann hat er Ella überfahren. Er sagte, das sei nur ein Vorgeschmack.«
    Ich kann mit ihr dasselbe machen, was ich mit deiner Frau getan habe. Willst du das?
    Mahler sah zu seiner Tochter, die noch immer in ihrem Rollstuhl schlief. »Da habe ich aufgegeben. Sie war die Letzte, die er mir gelassen hatte. Ich wollte sie nicht auch noch verlieren.«
    Zorn fuhr sich mit dem Unterarm über die nasse Stirn. Die Waffe wurde schwer, er nahm sie in die andere Hand. Der Lauf glänzte matt im diffusen Licht.
    »Tu das Ding beiseite, Claudius. Du brauchst es nicht. Ich hatte nie vor, dich zu verletzen.«
    »Das glaube ich dir sogar.« Zorn ließ die Pistole sinken. »Wie war es mit Sigrun Bosch? Warum hast du sie so zugerichtet? Hat er das von dir verlangt?«
    »Er hat mir genau vorgeschrieben, was ich mit ihr tun soll«, erwiderte Mahler. »Jeder Schnitt mit dem Messer war geplant. Es sollte aussehen wie bei einem Psychopathen. Keinerlei Motiv, keine Verbindung zu Sivo. Er hat über eine Webcam zugesehen. Er wollte, dass sie leidet. Aber wenigstens das habe ich ihm vermasselt.«
    »Indem du ihr ein Schmerzmittel gegeben hast.«
    »Ja. Sie hat … sie hat nichts gespürt.«
    Da fiel Zorn etwas ein. »Du hast seinen Namen in ihren Unterarm geritzt, richtig?«
    »Ich hatte gehofft, dass ihr ihm so auf die Spur kommt.«
    Stapic schlug die Augen auf, sah sich kurz um und schloss sie dann wieder. Weder Zorn noch Mahler bemerkten es.
    »Und du warst es auch, der mir den Film gemailt hat?«, fragte Zorn.
    »Wer sonst?« Mahler fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. »Ich habe diese Frau getötet, und ich wusste nicht einmal, wer sie war! Sie hatte keine Ahnung, was mit ihr

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