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Zorn - Tod und Regen

Zorn - Tod und Regen

Titel: Zorn - Tod und Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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Konzerte, zu denen immer weniger Besucher kamen. Ein paar Monate später wucherte das Unkraut erneut, die Graffitis sprossen bunter als je zuvor, und dann kam die Zeit zurück, in der sich nur noch selten ein Spaziergänger auf das verwahrloste Gelände verirrte.
    Eine schmale, an den Seiten dicht bewachsene Zufahrt führte zu einem vergitterten Tor, das den Zugang zum Inneren des Gasometers bildete. Der große, hagere Mann, der jetzt ein Gebüsch beiseiteschob und die Auffahrt betrat, war eindeutig kein Spaziergänger. Henning Mahler sah sich kurz um, dann ging er mit raschen Schritten zum Tor. Er war bis auf die Haut durchnässt, seine Kleidung und der Rucksack waren über und über mit Schlamm bedeckt.
    Das Tor war angelehnt. Als er es öffnete, quietschte es laut. Ein Geräusch, das von den hohen Wänden vielfach zurückgeworfen wurde.
    Zwei weitere Schritte und Mahler stand im kreisrunden Innenraum. In der Rechten hielt er die Beretta, die andere Hand steckte in der Tasche seiner Regenjacke. Über ihm ragten die dicken Wände fast zwanzig Meter nach oben. Dunkle Wolken jagten über den nachtschwarzen Himmel.
    »Du bist pünktlich. Das gefällt mir, Jungchen.«
    Mirko Stapic lehnte im Schatten an einem der Stützpfeiler im Hintergrund. Ella Mahler saß neben ihm in ihrem Rollstuhl. Sie schien zu schlafen, ihr kleiner Kopf war zur Seite gesunken.
    Henning Mahler hob schweigend seine Pistole.
    Stapic lachte leise auf. »Komm her.«
    Als Mahler näher trat, bemerkte er den Lauf der doppelläufigen Schrotflinte, die der Kroate auf die Schläfe seiner Tochter gerichtet hielt. Mahler blieb stehen.
    »Du bist ein gottverfluchter Höllenhund, Sivo.«
    »Was hast du erwartet?«, erwiderte Stapic gutgelaunt. »Du wolltest mich sehen, hier bin ich. Und wenn du abdrückst, puste ich deinem Balg den Schädel weg.«
    *
    Zorn rannte, so schnell er konnte durch das aufspritzende Wasser. Mahler hatte recht gehabt, nach wenigen Metern führte der Tunnel steil bergauf. Er stürzte, fiel der Länge nach in die trübe Brühe, raffte sich auf und hastete vorwärts. Es wurde flacher, wenig später stand er schwer atmend auf dem Trockenen.
    Keuchend stützte er die Hände auf die Oberschenkel und lauschte in die Dunkelheit, in der Hoffnung, irgendwo vor sich Mahlers Schritte zu hören. Aber da war nichts. Henning Mahler schien wesentlich schneller zu sein als er. Stattdessen vernahm er weit hinter sich ein tiefes Grollen, dem eine krachende Explosion folgte, als die Halle in sich zusammenstürzte.
    Zorn hatte keine Ahnung, wo er war. Er leuchtete voraus. Der Tunnel ging schnurgerade bergan, das gelbe Ziegelgewölbe glitzerte feucht im Strahl seiner Lampe.
    »Scheiße«, knurrte er zum wahrscheinlich zehnten Mal an diesem Tag, holte tief Luft und rannte weiter vorwärts. Seine Lungen brannten, die Oberschenkel schmerzten, als würden sie mit einer Nähmaschine bearbeitet werden. Immer wieder verlor er das Gleichgewicht und musste sich an den Wänden abstützen. Schnell hatte er jegliches Zeitgefühl verloren, es schien ihm, als stolpere er seit Ewigkeiten durch diesen klaustrophobischen Gang, bis er erneut stehen blieb.
    Rechts von ihm waren eiserne Krampen in die Wand eingelassen, die eine Art Treppe bildeten. Er hielt sich die stechende Seite und sah auf. Direkt über ihm war ein kreisrundes Loch in der Tunneldecke, ein senkrechter Schacht führte nach oben.
    Ohne nachzudenken nahm er die Lampe in den Mund und kletterte hinauf. Es wurde wärmer, Wasser rieselte auf seinen Kopf. Unwillkürlich zählte er die Stufen, als er bei dreißig war, rutschte er mit den Schuhsohlen ab und wäre um Haaresbreite gestürzt, er verlor die Taschenlampe, es dauerte lange, bis er sie tief unter sich im Tunnel aufprallen und zerschellen hörte. Mit beiden Händen umklammerte er die rostigen Metallkrampen und versuchte, zu Atem zu kommen. Schloss die Augen, um den aufkommenden Schwindel abzuschütteln. Ein frischer Luftzug streifte ihn, er blickte nach oben und sah das Licht, das direkt über ihm hineinschien.
    Einen Augenblick später wälzte er sich mit letzter Kraft über den Rand der Schachtöffnung und blieb völlig entkräftet auf dem Rücken liegen.
    Der Herzschlag dröhnte Claudius Zorn in den Ohren, er lag mit fliegendem Atem im Gestrüpp eines Weißdornstrauches. Einem ersten Impuls folgend, langte er in die Tasche nach seinem Handy, um im Präsidium anzurufen. Das Display blieb dunkel, Wasser troff heraus. Das Telefon war tot.
    Eine Minute lag

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