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Zorn - Tod und Regen

Zorn - Tod und Regen

Titel: Zorn - Tod und Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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einer Talkshow drang aus der Wohnung. Er reckte sich, zog die Hosen stramm und sagte: »Ich muss dringend zu Herrn Zorn.«
    Der Riese glotzte.
    »Claudius Zorn«, wiederholte Schröder, »der wohnt hier.« Er wies mit dem Daumen über die Schulter.
    »Kenn ich nicht«, sagte der Riese, seine Stimme dröhnte wie eine defekte Turbine. »Hier kennt niemand niemanden.«
    »Wie meinen?«
    »Keiner kennt keinen.«
    Schröder verstand kein Wort, nickte allerdings kurz und wandte sich dann wieder Zorns Tür zu, um ihr einen weiteren Tritt zu versetzen. Als er ausholte, spürte er erneut eine Hand auf der Schulter. Keine Hand, eher eine Pranke von der Größe einer Bratpfanne, die seinen gesamten Oberarm bedeckte. Er wandte sich wieder um.
    Der Riese sah ausdruckslos auf ihn hinab. »Ich versuche zu schlafen.«
    »Das bemerkten Sie bereits, und ich will zu Zorn.«
    »Kenn ich nicht.«
    Schröder, der seinem Gegenüber nicht viel weiter als bis zum Bauchnabel reichte, legte den Kopf in den Nacken, sah hoch, überlegte kurz und seufzte. »So kommen wir nicht weiter.« Er zückte seinen Dienstausweis und hielt ihn nach oben. »Es ist wichtig.«
    Der Riese riss ihm den Ausweis aus der Hand, hielt ihn dicht vor die Augen und betrachtete ihn eingehend. »Ein Bulle.«
    »Ich mag diesen Ausdruck nicht.«
    Schröder vernahm eine Art tiefes Grunzen, das er nach kurzem Überlegen als Lachen identifizierte. Der Riese hielt den Ausweis in die Höhe und ließ ihn dann los, worauf er langsam zu Boden segelte und dort mit einem leisen Klatschen landete.
    »Oh«, sagte er, »das tut mir leid.« Dann trat er einen Schritt heran und fügte langsam und deutlich hinzu: »Bulle.«
    Schröder seufzte wieder, kratzte sich am Kopf und sagte dann leise: »Aufheben.«
    Der Riese starrte einen Moment mit offenem Mund, dann warf er den Kopf nach hinten, und das, was er diesmal ausstieß, war eindeutig ein heulendes, tiefes Lachen, das ohrenbetäubend durch den leeren Hausflur schepperte.
    Schröder wartete eine Weile, dann piekste er ihn mit ausgestrecktem Zeigefinger leicht in den Bauch.
    Augenblicklich verstummte der Riese. Dann knurrte er: »Fass mich nicht an, Kleiner.«
    Der dicke Schröder zeigte auf den Ausweis. »Aufheben.« Er fuhr sich mit der Hand über den Scheitel und ergänzte: »Ich habe keine Zeit für Kinderspielchen.«
    Jetzt hob der Riese die Pranke, packte Schröder am Kinn, hob ihn mühelos ein Stück empor und presste ihn gegen die Wand. »Verpiss dich, Bulle«, brummte er, »oder ich zermatsch dich. Ich mach dich schneller platt, als du denkst.«
    Was dann geschah, dauerte nicht länger als zwei Sekunden.
    Mit der linken Hand brach Schröder dem anderen den Daumen. Dann bückte er sich, bog den kleinen, dicken Körper zusammen, tauchte blitzschnell nach unten, schlug seinem Gegner mit der Rechten in die Leber, hob das Knie und trat ihm in die Weichteile.
    Er ging einen Schritt zur Seite, verschränkte die Hände hinter dem Rücken und wartete interessiert ab, was geschehen würde.
    Einen Moment stand der Riese reglos wie ein gekeultes Rindvieh. Dann gab er ein Geräusch von sich, als würde ein Autoreifen zerstochen. Wankte, verdrehte die Augen nach innen und ging krachend zu Boden.
    Schröder trat näher, beugte sich über ihn und versicherte sich, dass er noch atmete.
    »Ich mag es nicht, wenn man mich Bulle nennt. Wirklich nicht.«
    Er zog sein Notizbuch und hinterließ Zorn eine Nachricht. Dann schlenderte er gemächlich zum Fahrstuhl.
    *
    Zorn wischte sich den Mund mit einer Papierserviette ab. Er hatte ihr während des Essens alles erzählt. Von der Leiche, die nicht identifiziert werden konnte, von den Berichten, die seiner Meinung nach frisiert waren, und von seinem Verdacht gegen ihren Vorgesetzten Staatsanwalt Sauer.
    »Okay«, sagte sie und schob ihren Teller beiseite. »Du willst also den Originalbericht.«
    Er sah sie an.
    »Ja. Ich glaube, dass Sauer irgendwelche Hinweise auf die Identität der Leiche zurückhält. Keine Ahnung, was das sein kann, vielleicht ein Schmuckstück, eine markante Narbe oder so. Und ich muss wissen, was das ist.«
    »Warum?«
    Er sah sie verständnislos an. »Warum was?«
    Sie zuckte die Achseln. »Ich hatte bisher nicht den Eindruck, als würde dich dein Job sonderlich interessieren. Du schleichst durchs Präsidium, als würde dir alles am Arsch vorbeigehen. Es ist dir vielleicht nicht bewusst, aber fast alle denken so. Und ich frage mich, woher dein plötzlicher Arbeitseifer stammt.«
    Er

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