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Zorn - Tod und Regen

Zorn - Tod und Regen

Titel: Zorn - Tod und Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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doch, wie du guckst, Schröder!«
    Schröder kratzte sich am Kopf. »Wie guck ich denn?«
    »Na …«, Zorn fuchtelte hilflos mit den Händen, suchte nach den richtigen Worten. »Vorwurfsvoll eben!«, wiederholte er nach einer Weile, da ihm nichts anderes einfallen wollte.
    Schröder betrachtete seine Fingernägel und murmelte, es hätte ja durchaus sein können, dass Zorn krank zu Hause liege, schließlich habe er am gestrigen Morgen angerufen und erklärt, dass er nicht ins Büro komme. Worauf Zorn die Faust auf den Tisch knallte und rief, dass er sich von niemandem ein schlechtes Gewissen einreden lasse.
    Er hatte sich am Morgen von Hannah mitnehmen lassen, war allerdings ein paar hundert Meter vor dem Präsidium in der Nähe des Tabakladens aus ihrem Golf gestiegen mit der Ausrede, er müsse sich noch Zigaretten holen. Die Wahrheit war natürlich, dass er nicht mit ihr gesehen werden wollte, und er wusste, dass Hannah das ebenfalls klar sein musste. Doch es gab viele Wahrheiten, die Zorn niemals laut ausgesprochen hätte. Vor allem nicht, wenn sie ihn selbst betrafen.
    »Ich dachte, du willst das Video so schnell wie möglich sehen, Chef. Und außerdem«, fügte Schröder nach einer kurzen Pause hinzu, »hab ich mir Sorgen gemacht.«
    Einen Moment war Zorn sprachlos. Der einzige Mensch, der sich seiner Meinung nach ernsthaft Sorgen um ihn machte, war seine Mutter, die allein in einer zweigeschossigen Villa am Heiderand wohnte und zweimal im Monat anrief, um sich zu vergewissern, dass er regelmäßig Obst aß. Sowohl Zorn als auch Schröder waren stets darauf bedacht, ihre Gesprächsthemen auf die Arbeit zu beschränken. Selbst an ihren Geburtstagen hatten sie sich gegenseitig bisher nie beschenkt, ein Händedruck und ein kurzer, verlegen gemurmelter Glückwunsch waren das Höchste, was sie sich in all den Jahren an Gefühlsausbrüchen geleistet hatten.
    Zorn räusperte sich, rückte ein paar Blätter auf seinem Schreibtisch zurecht und fragte dann barsch: »Könnten wir dann vielleicht mal an die Arbeit gehen?«
    »Aber natürlich«, sagte Schröder und deutete eine leichte Verbeugung an.
    »Dann wäre ich dir sehr verbunden, wenn du mir endlich den verdammten Film zeigen würdest.«
    *
    Zu behaupten, dass Hannah Saborowski ihre Arbeit liebte, wäre übertrieben gewesen. Doch ebenso wenig konnte man sagen, dass sie sie ungern tat. Es war ein gut bezahlter Job, der ihr ein angenehmes Leben ermöglichte, und was ihre Zukunft betraf, hatte sie alle hochfliegenden Pläne vorerst beiseitegeschoben.
    Gleich nach dem Abitur hatte sie ein Jurastudium begonnen. Im zweiten Semester hatte sie sich bei einem Urlaub auf Lanzarote in einen italienischen Surflehrer verliebt, war dort geblieben, hatte das Studium abgebrochen und war absolut sicher gewesen, die Liebe ihres Lebens getroffen zu haben. Es sollte knapp zwei Monate dauern, bis sie bemerkte, dass weder der Italiener noch die Insel sie glücklich machten. Als sie dann nach Deutschland zurückkehrte, hatte sie erst in einem Anwaltsbüro gejobbt, bis sie irgendwann im Sekretariat von Staatsanwalt Sauer gelandet war.
    Jetzt war sie 31 und bereits das zweite Jahr hier. Sauer war ihr nie sonderlich sympathisch gewesen, im Gegenteil, er war das, was sie früher als Arschlochmenschen bezeichnet hatte: ein Mann, der jeden Schritt haargenau kalkulierte und dem egal war, was um ihn herum passierte, solange es nicht die eigenen Interessen betraf. Sauer verachtete Frauen. Für ihn war sie nicht mehr als eine Topfpflanze. Oder ein nettes Möbelstück, dem man kaum Beachtung schenkte, solange man es nicht nutzte. Sie war ein kleiner, unbedeutender Teil einer Maschine, die seine Karriere vorantreiben sollte, und ihr war klar, dass er sie ohne Umschweife vor die Tür setzen würde, sollte sie Probleme machen. Aber er ließ sie in Ruhe, solange sie funktionierte, und das fiel ihr nicht schwer. Ihre einzige Aufgabe war, das Büro unter Kontrolle zu halten und ansonsten gut auszusehen. Und so lackierte sie sich jeden Morgen die Fingernägel, zog ein möglichst tief ausgeschnittenes Kleid an und tat, was von ihr erwartet wurde.
    Bisher jedenfalls.
    Als Zorn sie fragte, hatte sie sofort eingewilligt, ihm zu helfen. Einerseits hatte sie dieser mürrische, dunkelhaarige Kerl, der da gelangweilt durchs Präsidium schlich und eine nahezu greifbare Aura des Desinteresses und der Gleichgültigkeit verströmte, vom ersten Augenblick an fasziniert, und je weniger Zorn sie beachtete, desto

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