Zorn - Tod und Regen
eine Böe hatte eine weiße, zerrissene Plastiktüte bis hoch in die vierte Etage getrieben, wo sie jetzt, keine drei Meter vom Fenster entfernt, hin und her tanzte. Sauer bemerkte von alldem nichts.
Diese Schlampe, dachte er. Diese miese, kleine Schlampe macht alles kaputt, was ich mir jahrelang aufgebaut habe.
Er trommelte mit den Fingerspitzen gegen die Scheibe.
Sie ist selbst schuld, knurrte er, mir bleibt keine andere Möglichkeit. Dann räusperte er sich, zückte sein iPhone und wählte die Nummer.
*
»Es ist eindeutig«, sagte Zorn, »dass Sauer die Identifizierung verhindern wollte.«
»Zumindest verzögern«, ergänzte Schröder.
»Und das bedeutet, dass er irgendwie da drinsteckt.«
»Oder er ist selbst der Täter.«
Zorn strich die Zigarette sorgfältig am Aschenbecher ab.
»Hältst du das für möglich, Schröder?«
Schröder schob das Kinn vor und kratzte sich am Hals. Zorn bemerkte, dass er sich ein paar Tage nicht rasiert hatte. »Ich bin nicht sicher, Chef, ich weiß nur, dass er gefährlich ist. Und dass wir Frau Saborowski schützen müssen. Wenn er herausfindet, dass sie die Akte geklaut hat, dreht er durch.«
Zorn langte über den Tisch, nahm die Fotos und die Schriftstücke und packte sie zurück in die Folie. »Er darf auf keinen Fall erfahren, dass wir das hier kennen.« Er klopfte mit dem Zeigefinger auf die Akte.
Am anderen Ende des Raumes öffnete sich die Toilettentür. Hannah erschien und sah zu ihnen hinüber. Schröder winkte ihr zu. Zorn sah ebenfalls in ihre Richtung, erkannte aber nicht viel mehr als ein paar verschwommene Farbkleckse.
Mist, dachte er. Ich brauche wirklich eine Brille. Als ob ich nicht schon genug Scheiße an der Backe hätte.
Hannah nahm wieder Platz und wischte die Finger an den Hosenbeinen ab. »Keine Handtücher auf dem Klo«, entschuldigte sie sich, als sie Schröders pikierten Blick bemerkte. Dann rieb sie sich unternehmungslustig die Hände. »Also, was machen wir, Männer?«
»Hannah«, sagte Zorn und sah sie ernst an. »Du machst erst mal gar nichts. Das Einzige, was du tun wirst, ist Folgendes.«
»Ich höre, Herr Hauptkommissar«, sagte sie und stützte das Kinn in die Hand.
»Du wirst die Akte so schnell wie möglich zurück in den Safe legen. Bevor Sauer etwas merkt.«
»Dann gehe ich morgen einfach etwas früher auf Arbeit.«
»Gut.« Zorn nahm sich eine neue Zigarette. »Ansonsten lässt du dir nichts anmerken und machst deinen Job, als wäre nichts passiert. Wir werden vorerst mit niemandem reden.«
»Das ist albern, Claudius«, prustete Hannah. Zorn verdrehte genervt die Augen, als er seinen ungeliebten Vornamen hörte. »Ich meine, ich versteh das nicht«, sie legte eine Hand auf seinen Arm, »ihr habt doch jetzt die Beweise!«
»Haben wir die? Was, denkst du, hat dein Chef genau getan?«
Hannah überlegte, setzte zum Sprechen an und schwieg.
»Wir wissen nicht, warum und für wen genau Sauer die beschissenen Berichte manipuliert hat«, erklärte Zorn. »Und wir müssen rausfinden, ob er Komplizen im Präsidium hat. Oder anderswo.«
»Wie wollt ihr das machen?«
»Wir werden ihn beschatten.«
»Okay«, sagte Hannah. »Ich bin dabei.«
Zorn schüttelte langsam den Kopf.
»Hey, ich habe diese Unterlagen besorgt. Glaubt ihr wirklich, dass ich euch den ganzen Spaß allein überlasse? Jetzt, wo es erst richtig losgeht?«
Zorn wollte etwas entgegnen, doch Schröder kam ihm zuvor: »Das ist kein Spaß«, sagte er leise. »Philipp Sauer ist gefährlich, Frau Saborowski.«
»Hannah.«
»Bitte?«
»Nenn mich Hannah.«
»Gern«, sagte Schröder und deutete ein Lächeln an.
»Ihr wollt also, dass ich rumsitze und nichts mache?«
»Nein«, sagte Zorn. »Du wirst eine ganze Menge tun. Wenn du auf Arbeit bist, hast du Sauer ständig im Blick. Sobald irgendwas passiert, gibst du uns Bescheid. Schröder und ich kümmern uns nach Feierabend um ihn.«
»Mehr nicht?«
Schröder beugte sich ein wenig vor. »Niemand hat eine Ahnung, wozu Sauer fähig ist. Und wir beide«, er nickte seinem Chef zu, »wissen, was zu tun ist.«
Wissen wir das wirklich?, dachte Zorn.
Hannah war noch immer nicht überzeugt.
»Versteh doch«, mischte sich Zorn wieder ein. »Wir machen hier keine Pfadfinderspielchen. Eigentlich hast du schon viel zu viel getan. Wir müssen –«
Er erhielt einen unsanften Stoß in den Rücken. Die Kellnerin stand, drei große Teller in den Händen, hinter ihm und gab ihm mit einer Kopfbewegung zu verstehen, dass er
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