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Zorn - Tod und Regen

Zorn - Tod und Regen

Titel: Zorn - Tod und Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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Jetzt, am frühen Nachmittag, waren viele Menschen unterwegs, liefen, mit Einkaufstüten und Regenschirmen beladen, vorsichtig und etwas ungelenk über das teure Pflaster aus italienischen, polierten Marmorplatten, die das dröge Gesamtbild der Innenstadt durchaus aufwerten mochten, bei Regen allerdings verwandelten sie sich in eine unberechenbare, spiegelglatte Rutschbahn. Zorn wunderte sich immer wieder, dass hier so wenige Unfälle passierten.
    Vor einem Optiker blieb er stehen. Es roch nach Abgasen, feuchter Luft und frisch gebratenen Würstchen. Seinen Salat hatte er kaum angerührt, jetzt hatte er fürchterlichen Hunger. Er holte eine Zigarette aus der Tasche.
    Im Schaufenster stand etwas von einem kostenlosem Sehtest. Zorn zögerte. Wenn ich das tue, dachte er, habe ich schwarz auf weiß, dass ich fast blind bin, dann ist es sozusagen amtlich. Dann muss ich für den Rest meines Lebens eine dicke, fette Hornbrille tragen, sehe aus wie ein vierzigjähriger BWL -Student und kriege nie wieder eine Frau ab. Nie wieder. Nee, dann bleib ich lieber blind, es ist besser so. Das meiste, was um mich herum passiert, will ich eh nicht sehen.
    »Hallo, Kommissar.«
    Unvermittelt wurde er aus seinen Gedanken gerissen, drehte sich um und erblickte Henning Mahler, der ihm mit einem schiefen Grinsen die Hand entgegenstreckte.
    »Hey«, sagte Zorn. Seine anfängliche Freude wich einem leichten Magendrücken, das wiederum von einem Stich des schlechten Gewissens abgelöst wurde, dann nämlich, als ihm mit einem Schlag Clara Mahlers Beerdigung einfiel. Die war vor zwei Tagen gewesen.
    »Scheiße«, entfuhr es Zorn, »ich hab die Beerdigung vergessen.«
    »Macht nichts, es war sowieso kaum jemand da.«
    Wenn es denn möglich war, sah Mahler noch abgerissener aus als beim letzten Mal. Er musste seit Tagen nicht geschlafen haben, der Regenmantel schien seit ihrer letzten Begegnung zwei Nummern größer geworden zu sein und schlotterte wie ein Müllsack um seine hageren Schultern.
    Zorn wusste nicht, was er sagen sollte, und sah verlegen auf seine durchnässten Schuhe.
    »Wie geht’s den Kindern?«, fragte er nach einer Weile.
    »Tom ist immer noch bei meiner Schwester, und Ella …«, Mahler machte eine unbestimmte Handbewegung, »Ella wird wohl demnächst aus dem Krankenhaus entlassen. Wir kommen zurecht. Irgendwie.«
    Zorn nickte, als ob er verstehen würde, was Mahler meinte. Obwohl das absolut nicht der Fall war.
    Mahler zog die Schultern hoch und verschränkte die Arme vor der Brust. »Lust auf einen Kaffee?«, fragte er und nickte in Richtung eines Schnellimbisses, der verschiedene, angeblich frisch gefangene Fischgerichte anbot.
    »Klar«, sagte Zorn, warf dann aber einen schnellen Blick auf das alte Uhrwerk des Wachturmes und verbesserte sich rasch: »Nee, geht nicht, ich muss ins Präsidium, tut mir leid, Henning.«
    »Gibt’s was Neues in deinem Fall?«
    Zorn zögerte.
    »Wie man’s nimmt. Ich hab da was rausgefunden, und …«
    »Ja?«
    »Kann ich dir nicht erzählen.« Zorn entschuldigte sich mit einem Lächeln.
    »Keine Angst, du musst mir deine Dienstgeheimnisse nicht verraten.«
    »Lass uns morgen Abend ein Bier trinken, irgendwas finden wir schon, worüber wir reden können.«
    »Okay.« Mahler reichte Zorn die Hand. »Ich ruf dich an. Vielleicht hast du ja morgen deinen Mörder schon gefunden.«
    Wer weiß, dachte Zorn. Vielleicht.

Elf
    Vor dem archäologischen Landesmuseum, einem hundertjährigen Sandsteinklotz, dessen dunkle Fassade an längst zerfallene römische Monumentalbauten erinnerte, befand sich ein mit uralten Platanen bewachsener Platz, der von einer mit Kopfstein gepflasterten Straße begrenzt wurde. Der nördliche, dem Museum gegenüberliegende Teil diente als inoffizielle Hundewiese, nach Süden hin schloss sich ein ungepflegter und selten genutzter Kinderspielplatz an. Staatsanwalt Sauer lebte in einer der klassizistischen Villen, die den Platz in einem großen Rechteck umgaben.
    Claudius Zorn unterdrückte ein Gähnen und sah auf die Uhr. Kurz nach halb elf. Seit über viereinhalb Stunden hockte er nun in seinem Volvo, den er fünfzig Meter entfernt von Sauers Wohnung auf der gegenüberliegenden Straßenseite geparkt hatte.
    Der Staatsanwalt war gegen halb sieben nach Hause gekommen und hatte seitdem seine Wohnung nicht mehr verlassen. In anderthalb Stunden würde Schröder für drei Stunden übernehmen und, wenn Sauer bis dahin nichts unternommen hatte, wieder nach Hause fahren und sich für

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