Zorn - Tod und Regen
ein paar Stunden ausruhen dürfen.
Es ist wahrscheinlich sinnlos, dachte Zorn zum zehnten Mal und kurbelte das Fenster ein wenig herunter, wieso sollte Sauer ausgerechnet jetzt, wenn ich ihn beschatte, aktiv werden?
Er nahm das Handy und wählte Hannahs Nummer. Ihr Telefon war ausgeschaltet, er sprach ihr auf die Mailbox und bat sie, sich bei ihm zu melden. Ich muss sie im Auge behalten, überlegte er. Sie nimmt das alles nicht ernst genug, und das Schlimmste, was man jetzt tun könnte, wäre, Sauer zu unterschätzen.
Er hatte mindestens eine halbe Schachtel geraucht, die Luft im Auto war zum Schneiden, sein Kopf schmerzte, der Mund fühlte sich an, als hätte er die Zigaretten nicht nur geraucht, sondern den Inhalt des übervollen Aschenbechers gleich mit geschluckt.
Ich bin wirklich bescheuert, dachte er, drückte die Zigarette aus und warf die Schachtel angewidert auf den Beifahrersitz. Es schmeckt nicht, es stinkt und es bringt mich langsam, aber sicher um. Und trotzdem höre ich nicht auf. Warum nur? Das war ein Gedanke, der ihm öfter kam. Seit fast zwanzig Jahren. Der allerdings auch schnell wieder vergessen war, spätestens dann, wenn er automatisch zur nächsten Zigarette griff.
Er seufzte und warf einen Blick in Richtung Sauers Haustür. Der dachte natürlich nicht im Traum daran, auf der Straße zu erscheinen. Zorn trommelte mit den Fingern auf dem Lenkrad. Begann, einen alten Iggy-Pop-Song vor sich hin zu pfeifen, kaute dann ein wenig auf den Fingernägeln, sah gelangweilt nach links, nach rechts, in den Rückspiegel, die Minuten vergingen, bis er plötzlich wieder das Feuerzeug in der einen und die Zigarettenschachtel in der anderen Hand hielt.
Nix da, knurrte er, warf beides auf den Rücksitz und schaltete das Radio ein. Im Inforadio wurde gerade bekanntgegeben, dass die Stadt in den nächsten Tagen definitiv mit einem Hochwasser zu rechnen habe, der Pegel des Flusses lag momentan bei vier Metern und würde, wenn es vor allem flussaufwärts weiter so regnen sollte, in den nächsten zwei Tagen um bis zu drei weitere Meter steigen. Bereits jetzt waren die meisten Uferstraßen überflutet, einige Gebiete wie die Pferderennbahn, die direkt am Fluss lag, standen unter Wasser.
Zorn, der von alldem nichts mitbekommen hatte, wunderte sich nun doch: Was in der Stadt passierte, hatte ihn noch nie sonderlich interessiert, aber dass er von einer drohenden Flut aus dem Radio erfuhr, ohne selbst das Geringste geahnt zu haben, konnte wohl nur daran liegen, dass er an einem der höchsten Punkte der Stadt wohnte und weder sein Weg zur Arbeit noch einer seiner Ausflüge in die tiefer liegenden Gebiete der Stadt führten.
Im Radio ging man nun zum aktuellen Börsenbericht über. Zorn schaltete um und zuckte zusammen, als er bei Janas Privatsender landete, auf dem gerade ein Werbetrailer für ein neues Gewinnspiel lief. Eine hektische Männerstimme forderte den Hörer auf, am kommenden Morgen zwischen sieben und acht unbedingt im Sender anzurufen und zu schätzen, welchen Pegelstand das Hochwasser in der nächsten Stunde erreichen würde. Dem Gewinner winkten Designer-Bademoden im Wert von 200 Euro, die von einem städtischen Herrenausstatter bereitgestellt wurden.
»Nicht verpassen! Einschalten!«, hauchte Janas aufgezeichnete Stimme und kündigte den nächsten Megahit der Neunziger an.
Den Teufel werd ich, knurrte Zorn und machte das Radio aus. Er fröstelte, startete den Motor, drehte die Heizung auf und fuhr die Scheibe wieder nach oben. Dann sah er hinüber zu Sauers Eingang. Zwei Teenager saßen geduckt auf einer der Bänke neben dem Spielplatz und rauchten, eine abgerissene Katze streunte über die feuchte, im Licht der Laternen glänzende Wiese, aber von einem weiteren Menschen, geschweige denn von Staatsanwalt Sauer, war weit und breit nichts zu sehen. So langsam, dachte Zorn und streckte den Rücken, könntest du deinen Arsch wirklich mal an die frische Luft bewegen.
Was natürlich nicht geschah. Dafür aber klingelte sein Telefon. Das heißt, es klingelte nicht, sondern Madonna fing an zu plärren.
»Ihr Name ist Sigrun Bosch«, meldete Schröder.
Zorn blinzelte verwirrt.
»Was?«
»Die Tote vom Wehr. Ehemalige Deutschlehrerin, ledig, wohnhaft Kornblumenweg 16. Ich habe eben einen Anruf aus dem Bezirksklinikum erhalten, die Nachtschwester hat die Krankenakte gefunden.«
»Scheiße!«, brüllte Zorn, der triumphierend hochgefahren war und sich den Kopf an der Sonnenblende gestoßen
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