Zorn - Tod und Regen
sichern. Schröder stand daneben, er trug Gummistiefel und ein quietschgelbes Regencape, dessen spitze Kapuze ihm tief in die Stirn hing. Von weitem sah er aus wie ein vergessener Gartenzwerg.
»Ich danke Ihnen«, sagte Zorn.
Der Pathologe nickte und ging hinunter in den Garten. Schröder kam näher, in der Hand hielt er zwei Plastikbecher mit Kaffee.
»Auch einen?«
Zorn schüttelte den Kopf.
»Einer der Männer hat erzählt«, Schröder deutete mit dem Becher in den Garten, »dass es vor ein paar Jahren einen ähnlichen Fall gegeben haben soll.«
»Was für einen Fall?«
»Mit den Krähen, Chef. Ein junger Mann hatte seine Eltern erschlagen, zerstückelt und im Garten verscharrt.«
»Lass mich raten: Das Ganze wurde nur wegen dieser Mistviecher aufgeklärt.«
»Mit dem Unterschied, dass sie nicht auf einem Baum, sondern auf einem Strommast saßen.«
Zorn blickte hoch in den nachtschwarzen Himmel. Er war sicher, dass die Vögel da oben irgendwo kreisten. »Es ist der Geruch von totem Fleisch, der sie anzieht.«
»So wird es wohl sein.« Schröder schob die Kapuze aus der Stirn. »Aber das konnte niemand ahnen, als wir die Anzeige bekommen haben.«
Zorn zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich nicht. Trotzdem hab ich das Gefühl, dass wir einen Fehler nach dem anderen machen.«
Schröder wandte sich dem hell erleuchteten Garten zu. Die Männer waren dabei, die Leiche in einen grauen Plastiksack zu verfrachten. Der Gerichtsmediziner stand daneben und gab halblaut ein paar Anweisungen.
»Glaubst du auch, dass wir Henning Mahlers Sohn gefunden haben, Chef?«
»Ja.« Zorn schwieg einen Moment. Er sehnte sich nach seinem warmen Bett. »Ja, das glaube ich«, wiederholte er dann. »Tom heißt der Junge. Er ist nicht mal zehn Jahre alt geworden. Hast du eine Ahnung, was das bedeutet?«
Schröder trank einen Schluck Kaffee und verzog angewidert das Gesicht. »Nein, Chef.«
»Henning sagte, der Junge ist bei seiner Schwester.«
»Er hat keine.«
»Keine was?«
»Mahler hat keine Schwester.«
Zorn sah Schröder überrascht an. »Bist du sicher?«
»Ja, Chef.«
»Und warum hat er mich angelogen?«
»Weil er den Mord an seinem Sohn vertuschen wollte?«
Über ihnen erscholl ein lautes Krächzen. Erst weit entfernt, dann langsam näher kommend. Automatisch zählte Zorn mit. Nach dem siebten Mal verstummte die Krähe. Komisch, überlegte er, wieso zähle ich immer mit? Bei Glockenschlägen ist es genauso, da rechne ich auch immer nach.
»Ich glaub, ich werd langsam verrückt«, murmelte er.
»Was sagst du?«
»Nichts.« Zorn räusperte sich laut. »Lass Henning Mahler zur Fahndung ausschreiben.«
»Ist bereits passiert.«
»Und überprüf die Tochter. Sie heißt Ella. Henning sagte, dass sie im Krankenhaus liegt. Wer weiß, ob das stimmt. Wenn ja, dann überwachen wir das Mädchen. Er liebt seine Familie über alles.« Er deutete mit dem Kinn auf das Haus. »Und lass diese Hütte auf den Kopf stellen. Komplett.«
Der Gerichtsmediziner kam näher, nickte Schröder zu und sagte leise: »Der Junge wurde erdrosselt. Den Rest lesen Sie morgen in meinem Bericht.« Er gab beiden die Hand und verschwand um die Ecke.
»Hast du jemals gehört, dass ein Vater sein eigenes Kind erwürgt und dann im Garten verscharrt?«, fragte Zorn.
Schröder schüttelte den Kopf. »Nein, nicht hier, nicht in dieser Gegend. Aber ich bin sicher, dass es schon tausendfach passiert ist.« Er sah Zorn an. »Du willst wirklich keinen Kaffee?«
»Bloß nicht. Ich geh jetzt ein paar Stunden schlafen. Ich lass das Handy an. Weck mich, wenn’s was Neues wegen Hannah gibt.«
»Natürlich.«
»Sonst noch was?«
»Nein.« Schröder gähnte. »Außer, dass ich seit sechzehn Stunden auf den Beinen bin.«
»Du schläfst erst, wenn wir den Fall gelöst haben.«
»Das kann noch eine Weile dauern.«
»Dann«, sagte Zorn und klopfte Schröder auf die Schulter, »solltest du dich vielleicht ein bisschen anstrengen, mein Lieber.«
Sprach’s und stiefelte davon.
*
Als Zorn endlich zu Hause aus dem Fahrstuhl stieg, konnte er sich kaum noch auf den Beinen halten. Die Plastiktüte am Knauf seiner Wohnungstür bemerkte er erst, als er den Schlüssel ins Schloss stecken wollte.
Er wusste sofort, was darin war. Müde schlich er in die Küche, stellte das Sushi auf den Tisch und ließ sich mit einem Seufzer auf den Stuhl sinken. Malina hatte etwas mit Kugelschreiber auf die Packung geschrieben.
Nichts wird so heiß gegessen, wie’s gekocht wird.
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