Zorn - Tod und Regen
nochmal, Schröder! Ich stand am Bahnhof vor einer bescheuerten Absperrung, und diese Typen von der Bundespolizei hatten nichts Besseres zu tun, als von einer Bombe zu faseln und mich nicht durchzulassen!«
Zorn war knallrot im Gesicht. Er war völlig außer sich gewesen, als er am Bahnhof ankam. Immerhin hatte er noch die Klarheit besessen, Schröder anzurufen, der zehn Minuten nach ihm eingetroffen war. Es war jetzt sieben Uhr morgens, beide hatten vergeblich versucht, ein paar Stunden zu schlafen. Bleich und übernächtigt saßen sie in Zorns Büro, vor sich einen Becher mit lauwarmem, abgestandenem Kaffee.
»Es hätte eine sein können.«
»Eine Bombe?«
»Ja.«
»Ich wusste, dass es Hannah war.«
»Das konntest du nicht wissen.«
Zorn rieb sich die entzündeten Augen.
»Ich wusste auch, dass die Nachricht nicht von ihr war«, sagte er leise. »Dass der Typ, der sie umgebracht hat, mich dorthin gerufen hat. Damit ich sie dort finde. Das war mir klar, als ich von dem Koffer gehört habe.« Er zwinkerte und wischte sich erneut über das Gesicht.
»Weinst du, Chef?«
»Quatsch, ich hab was im Auge.«
Schröder zupfte eine Fussel vom Ärmel seines karierten Hemdes.
»Ich hab sie auch sehr gemocht«, sagte er nach einer Weile.
Nach und nach war Zorn klargeworden, dass er am Bahnhof so etwas wie einen Nervenzusammenbruch gehabt haben musste, einen Blackout, dessen Folgen er noch immer spürte. Er fühlte sich, als würde er unter Drogen stehen, was natürlich auch am Schlafmangel liegen konnte. Vor allem aber lag es an der Gewissheit, dass Hannah tot war. Er atmete tief ein.
»Jetzt liegt sie in der Pathologie.«
Schröder räusperte sich und meinte dann: »Auch das kannst du nicht mit Sicherheit wissen. Es kann jemand anders sein.«
Zorn sah ihn an, als hätte er einen Viertklässler vor sich. »Ich bekomme eine SMS von Hannahs Handy und werde zum Bahnhof bestellt«, sagte er und drückte seine Zigarette aus. »Genauer gesagt, auf Bahnsteig acht, der um diese Zeit so gut wie verlassen ist. Dort findet man in einem Koffer eine zerstückelte Frauenleiche mit langem, rötlichem Haar. Scheiße, was glaubst du, wer das ist? Frau Holle?«
Bevor Schröder etwas erwidern konnte, wurde die Tür aufgerissen und eine große, brünette Frau stand in der Tür.
»Hauptkommissar Zorn, wenn ich nicht irre?«
Sie trug drei dicke Aktenordner im Arm, die sie bis unter das Kinn gestapelt hatte. Zorn schätzte sie auf Mitte zwanzig. »Allerdings«, meinte er verdattert. »Und wer sind Sie?«
»Sie haben einen Beamten der Bundespolizei verprügelt?«, erwiderte sie, ohne auf seine Frage einzugehen.
»Nicht ganz«, korrigierte Zorn. »Er hat mir den Zugang zum Fundort verwehrt. Daraufhin habe ich ihm Schläge angeboten. Mein Kollege hier«, er deutete auf Schröder, »war so freundlich, mich davon abzuhalten.«
»Angenehm«, sagte Schröder und erhob sich ein wenig.
»Ich erwarte Sie beide in zehn Minuten in meinem Büro.«
Mit einem Knall fiel die Tür ins Schloss, um kurz darauf noch einmal geöffnet zu werden. »Eine Etage höher. Zimmer 312. Sie können es nicht verfehlen, mein Name steht dran. Frieda Borck.«
Zorn und Schröder sahen sie verständnislos an.
»Ich bin die Nachfolgerin von Staatsanwalt Sauer.«
Die Aktenordner schwankten bedenklich unter ihrem Kinn. Schröder sprang auf und wollte ihr behilflich sein.
»Danke, ich komme zurecht«, wehrte sie ab.
»Sehr wohl«, meinte Schröder mit einer leichten Verbeugung.
Sie schob die Unterlippe vor und musterte ihn einen Moment von Kopf bis Fuß.
»Also, in zehn Minuten.«
Frieda Borck wandte sich zum Gehen. Dann drehte sie sich noch einmal um: »Und lüften Sie diesen Saustall, meine Herren.«
*
»Wie kann die bitte in diesem Alter schon Staatsanwältin sein? Ich verstehe nicht, wieso man uns bei einem solchen Fall einen Anfänger schickt«, knurrte Zorn. »Die ist doch noch ein Küken.« Er hatte darauf bestanden, mindestens eine Viertelstunde zu warten, bevor sie losgingen.
»Keine Ahnung, Chef. Vielleicht ist sie ja gut?« Schröder hob die Hand, um anzuklopfen.
»Warte einen Moment.«
Zorn schloss die Augen und versuchte, sich zu konzentrieren. Er würde das alles in einer Viertelstunde hinter sich bringen, eine Weile den abgeklärten Ermittler spielen, den nichts und niemand aus der Ruhe bringt. Danach hatte er Zeit, wieder an Hannah zu denken. Jetzt musste sie ein wenig warten.
Dann traten sie ein.
Das Erste, was Zorn auffiel, war, dass
Weitere Kostenlose Bücher