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Zorn - Tod und Regen

Zorn - Tod und Regen

Titel: Zorn - Tod und Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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Sein linker Fuß war bis hinauf zur Wade durchnässt. Fröstelnd verschränkte er die Arme vor der Brust. Nebenan ging das Licht aus, einen Moment später wurde es in einem anderen Zimmer eingeschaltet. Wahrscheinlich im Bad. Nun drang das Licht weiter hinten in den Garten, fast bis an den Fuß des Baumes. Die Krähen waren auch jetzt nicht zu erkennen, sie saßen weiter oben, im Schatten.
    Und warteten.
    *
    Der dicke Schröder war äußerst schlechter Laune. Er saß allein in der Kantine und kaute lustlos an einer lauwarmen Bockwurst. Den ganzen Tag hatte er so gut wie nichts gegessen und gehofft, hier wenigstens ein ordentliches Abendbrot zu bekommen. Ein Blick über den leergefegten Tresen hatte ihn schnell eines Besseren belehrt.
    Vor ihm lag ein eng beschriebenes Blatt mit allem, was über Henning Mahler zu finden gewesen war. Das war nicht viel. Mahler war weder vorbestraft, noch hatte er sich sonst etwas zuschulden kommen lassen, es gab keinerlei Eintrag im Polizeicomputer. Auf dem Papier standen ausschließlich allgemeine Angaben.
    Adresse, Familienstand, Geburtsdatum, Verwandtschaftsverhältnisse.
    Schröder stutzte und nahm das Blatt in die Hand.
    Hier stand, dass Mahler keine Geschwister hatte.
    Er trank einen Schluck Cola, streckte den Rücken und strich das dünne Haar hinter die Ohren. Nachdenklich trommelte er mit den Fingern auf den Tisch. Zorn hatte ihm erzählt, dass Mahler eine Schwester habe.
    »Man weiß doch, ob man eine Schwester hat oder nicht«, murmelte er, bedachte die halbe Wurst mit einem angewiderten Blick und warf sie zurück auf den Teller. Dann machte er sich auf in sein Büro.
    *
    Das war der Grund, der Zorn zögern ließ: Das Gefühl, dass die Tiere nicht zufällig hier waren. Er konnte sich nicht erinnern, wo genau er davon gehört hatte, womöglich hatte er es im Fernsehen gesehen, in einer Quizshow vielleicht: Im Mittelalter galten sie als Todesboten.
    Metaphysischer Quark, murmelte er und stand auf. Warf einen letzten Blick in den Garten und machte Anstalten, zum Auto zu gehen. Dann zögerte er. Kniff die Augen zusammen und sah genauer hin. Er war nicht sicher, also trat er ein paar Schritte näher.
    Die Musik aus dem Haus des alten Mannes wurde jetzt deutlicher.
    Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehn, und dann werden tausend Märchen wahr.
    War das Greta Garbo?, überlegte er, als er über den Rasen lief. Oder Zarah Leander?
    Am Fuße des Baumes war der Rasen abgesackt und bildete eine gleichmäßige Vertiefung. Im Licht aus dem Nachbarhaus war sie deutlich zu erkennen. Rechteckig, vielleicht zwei Meter lang und gut einen halben breit. Das Gras an den Rändern war sorgfältig mit einem Spaten abgestochen worden.
    Ich weiß, so schnell kann keine Liebe vergehn, die so groß ist und so wunderbar.
    Er sah nach oben. Die Vögel saßen bewegungslos da.
    Todesboten.
    Jemand hatte hier gegraben. Er strich mit den Fingern über die frische Erde. Sah zurück zum Haus, dachte an den Spaten, der dort an der Wand lehnte. Über ihm ertönte ein leises Krächzen.
    Aasfresser.
    Das kann nicht sein, dachte er. Lief zur Terrasse und holte den Spaten. Als er zurückkam, war er bis auf die Haut durchnässt. Im Baum war ein Rascheln zu hören, die Vögel wurden unruhig.
    »Ihr könnt mich mal«, sagte Zorn laut, hob den Spaten und hieb die flache Seite mit aller Kraft gegen den Stamm. Wie auf Kommando flogen die Tiere auf und verschwanden in der Dunkelheit. Ein Windstoß fuhr Zorn ins Gesicht.
    Dann begann er zu graben.
    *
    Am anderen, südlichen Ende der Stadt hielt ein silbergrauer Mercedes an einer Ampel neben der ehemaligen Kaserne der Bereitschaftspolizei. Der Wagen war alt, mindestens zehn Jahre, aber gut gepflegt. Ein Kombi, der aussah, als habe er soeben erst das Fließband verlassen. Aus einer teuren Stereoanlage drang leise klassische Musik. Mozart.
    Leise pfiff der Fahrer vor sich hin und trommelte mit den Fingern im Takt auf das Lenkrad.
    *
    Die Erde war locker. Schon nach wenigen Minuten hatte Zorn eine Tiefe von dreißig Zentimetern erreicht. Plötzlich stieß er auf Widerstand. Etwas Weiches, Elastisches.
    Aus dem Nachbarhaus schluchzten die Geigen herüber.
    Wir haben beide denselben Stern, und dein Schicksal ist auch meins!
    Er warf den Spaten weg und nahm die Hände zu Hilfe. Schob die Erde beiseite und legte ein Stück Stoff frei.
    Du bist mir fern, und doch nicht fern.
    Ein Sack oder etwas Ähnliches. Möglicherweise auch ein Bettlaken.
    Und unsre Seelen sind eins.
    Mit

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