Zorn und Zärtlichkeit
»Meinetwegen soll er mit ihr glücklich werden.«
»Deine Einstellung ist wirklich großartig!« murrte Colen.
»Warum sollte ich mich in rasender Eifersucht verzehren? Wenn ein Verhältnis vorbei ist, dann ist es nun mal vorbei. Außerdem habe ich mich von Anfang an nicht sonderlich für Jessie interessiert.«
»Ich finde es einfach nicht richtig, dass sie zu Black Gawain geht, nachdem sie mit dir zusammen war. Immerhin ist sie keine Dienerin, sondern Daphnes angeheiratete Kusine.«
»Ihr Stand macht keinen Unterschied. Wenn ich mich nicht darüber aufrege, hast du erst recht keinen Grund dazu - es sei denn, du willst sie für dich selber haben.«
Colen wurde rot. »Unsinn! Für meinen Geschmack ist sie viel zu rundlich.«
Lachend weidete sich Jamie am Unbehagen seines Bruders. »Oh - du magst also schlankere Mädchen?«
Aber es gelang ihm nicht, Colen vom wesentlichen Thema abzulenken.
»Hast du Sheena diesmal gefunden?«
»Sie war nicht in Aberdeen.« Bevor der Junge eine weitere Frage stellen konnte, fuhr Jamie in kühlem Ton fort: »Ob du es glaubst oder nicht - sie war immer noch bei Jameson.«
»Warum denn?«
»Soll ich dir das wirklich erzählen? Es wird dir nicht sonderlich gefallen.«
»Ich verstehe das nicht.«
»Ich auch nicht«, stieß Jamie mit scharfer Stimme hervor. »Jedenfalls war sie dort.«
»Hast du sie nicht mitgebracht?« Voller Angst wartete Colen auf die Antwort.
»Sie ist hier im Schloss , und sie wird es nicht mehr verlassen.«
Colen richtete sich auf und starrte seinen Bruder ungläubig an. »Ist sie wirklich bereit hierzubleiben?«
»Ich habe sie nicht gefragt, und sie fand auch keine Gelegenheit, meinen Plänen zuzustimmen.«
»Du sagtest doch, du würdest sie zu nichts zwingen - und du bräuchtest einen stichhaltigen Grund, um sie hierherzubringen.«
»Diesen Grund hat mir MacDonough geliefert.«
Colen stand auf. »Wirst du's mir sagen - oder muss ich sie fragen?«
»Sie weiß es noch nicht.«
»Bei allen Heiligen, Jamie, muss t du immerfort in Rätseln sprechen?«
Jamie grinste. »Tut mir leid, Junge. Warum sollte ich es dir verheimlichen? Aber vorerst darf es niemand erfahren - und Sheena schon gar nicht. Habe ich dein Wort?«
»Ja! Und jetzt sag's mir schon, bevor ich den Verstand verliere! Welchen Grund hat dir MacDonough genannt?«
»Er hat seine Fergusson-Braut nicht geheiratet. Sie wurde nach Aberdeen verbannt - wo du sie gefunden hast.«
»Die Fergusson-Braut? Sheena? Unmöglich!«
»Es ist wahr, Colen. Ich habe es dir ebenso verschwiegen wie ihr, dass ich sie wiedererkannte, als du sie hierherbrachtest - denn ich hatte sie schon einmal gesehen, im Frühling, auf Fergussons Grund und Boden. Du meintest, sie wäre eine Bettlerin, und das glaubte ich auch. Sie badete nämlich in einem Teich, am frühen Morgen. Und das würde eine Fergusson niemals tun - zumindest nicht so kurz nach einem Überfall.«
»Genau. Also kann sie keine Fergusson sein.«
»Sheena ist sehr eigenwillig. Ist sie nicht von hier verschwunden, bei der ersten besten Gelegenheit, die sich ihr bot? Hat sie nicht an jenem Vormittag in unserem Teich gebadet, obwohl ich ihr sagte, das Wasser wäre zu kalt? Sie tut, was ihr beliebt. Zweifellos hat sie sich zu Hause auch so benommen.«
»Aber - eine Fergusson...«
Jamie nickte. »Noch dazu die Lieblingstochter des alten Dugald. MacDonough hat sie beschrieben, und da war ich endgültig überzeugt. Überleg doch mal, Junge! Ist das nicht eine einleuchtende Erklärung für ihre Furcht, für die wir beide keinen Grund finden konnten? Als ich sie ein paar Tage nach ihrer Ankunft in deinem Zimmer antraf, war sie freundlich und nett. Sie neckte mich sogar und hatte überhaupt keine Angst vor mir. Sie fürchtete sich erst, nachdem sie meinen Namen gehört hatte.«
»Jetzt, wo du das erwähnst, fällt es mir wieder ein. Sheena geriet außer Rand und Band, als sie erfuhr, wer ich bin. Sie schrie und kreischte und wollte auf der Stelle fliehen. Ich musste sie schlagen, um sie zu beruhigen.«
»Was hast du getan?« brüllte Jamie.
Colen wich seinem Blick aus. »Reg dich nicht auf, sie hat zurückgeschlagen.«
Jamie begann zu lächeln, dann lachte er lauthals. »Tatsächlich?«
»Vielleicht kommt dir das schrecklich lustig vor. Damals war ich jedenfalls anderer Meinung, das kann ich dir versichern. Großer Gott, nachdem Sheena eine Fergusson ist, ändert sich die Lage von Grund auf. Was wirst du unternehmen?«
»Ich habe sie hierher
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