Zorn und Zärtlichkeit
ins feindliche Lager vorzudringen. Jamie hatte die Brustwehr verlassen und erwartete ihn im Hof. Dugald stieg vom Pferd. Der Laird von MacKinnion stand allein vor ihm, kein Gefolgsmann war zu sehen. Der alte Fergusson hätte sein Schwert ziehen können. Doch das wäre ehrlos gewesen.
»Kommt in die Halle!« forderte Jamie ihn auf. »Ein Krug Bier wird uns die Verhandlung erleichtern.«
Dugald folgte ihm. Die Gefolgsleute von Kinnion ließen sich noch immer nicht blicken. Die beiden Lairds setzten sich an den Herrschaftstisch, und Dugald atmete auf. Anscheinend hatte man ihm keine Falle gestellt.
»Ich darf Euch zum erstenmal unter meinem Dach begrüßen, Sir Dugald, und ich heiße Euch willkommen«, sagte Jamie freundlich. Eine Dienstmagd hatte das Bier serviert, und sie waren wieder allein.
» Dass ich jemals einen Fuß in dieses Schloss setzen würde, hätte ich nie gedacht«, erwiderte Dugald mürrisch.
»Trotzdem habt Ihr keine Zeit verschwendet und seid auf dem schnellsten Weg hierhergeritten.«
»Was blieb mir anderes übrig?« Die Augen des alten Mannes verengten sich. »Wieviel, MacKinnion?«
Jamie lehnte sich zurück und sah ihn nachdenklich an. »Den Preis, den ich für das Mädchen verlangen würde, könntet Ihr niemals zahlen.«
»Es war also doch eine Falle!« Fergusson stand wütend auf. »Was hätte man auch anderes erwarten sollen - von einem MacKinnion?«
»Setzt Euch, Sir Dugald, und hört mir zu. Immerhin feilscht Ihr um die Ehre Eurer Tochter.«
Das Blut stieg in Dugalds Wangen. Langsam ließ er sich wieder auf seinem Stuhl nieder. »Ich möchte Sheena sofort sehen.«
»Das dürft Ihr - nachdem wir ihre Zukunft besprochen haben.«
»Wir? Wie könnt Ihr es wagen...«
»Augenblick mal, Fergusson! Wart Ihr nicht entschlossen, meine Zukunft zu regeln, als ich im Tower Esk gefangensaß? Nun ist die Situation umgekehrt. Ihr habt kein Lösegeld verlangt und wolltet mich nur freilassen, wenn ich eine Eurer Töchter heirate.«
»Und welche Bedingung stellt Ihr jetzt, MacKinnion?«
»Ich möchte Sheena haben«, antwortete Jamie ohne Umschweife.
Dugalds Gesicht färbte sich noch dunkler. »Unmöglich!«
»Nun, ich habe sie bereits«, entgegnete Jamie gelassen.
Der alte Mann senkte den Kopf. Er konnte seinem Gastgeber nicht widersprechen. »Habt Ihr - Sheena etwas angetan?«
»Sie wurde weder verletzt noch entehrt, Sir Dugald. Falls sie keine Jungfrau mehr ist, habe ich absolut nichts damit zu tun.«
»Da kennt Ihr meine Sheena aber schlecht!«
»Das ist die Frage«, erwiderte Jamie kühl. »Sie hat ihr Vaterhaus vor einiger Zeit verlassen. Ihr könnt nicht wissen, wie sie sich seither verhalten hat.«
»Das sagt Ihr - und wollt sie trotzdem haben?«
»Ja.«
»Warum habt Ihr mich herbeigeholt?« fragte Dugald unvermittelt. »Sheena ist bereits in Eurer Gewalt. Wollt Ihr mich quälen und mir erzählen, was Ihr alles tun wollt, um sie ins Unglück zu stürzen?«
Jamie grinste. »Verzeiht mir, Sir Dugald. Vielleicht wollte ich mich ein bisschen an Euch rächen - und deshalb habe ich bis jetzt verschwiegen, dass ich Sheena rechtmäßig heiraten möchte.«
Es dauerte eine Weile, bis Dugald den Sinn dieser Worte begriffen hatte. »Sie soll Eure Frau werden?« fragte er und blinzelte verdutzt. »Ihr sagtet doch, dass Ihr keine meiner Töchter heiraten würdet.«
»Ich weiß, was ich sagte«, unterbrach ihn Jamie. »Aber Ihr habt mir diese eine Tochter nicht angeboten.«
»Weil ich einen besonderen Mann für sie suchen wollte - einen, auf den ich mich verlassen könnte, der sie niemals misshandeln würde...«
»Und Ihr dachtet, ich würde das tun? Ihr überrascht mich, Fergusson. Ich mag seit dem Tag meiner Geburt Euer Feind sein, aber ich bin trotzdem ein Mann, der eine schöne Frau zu schätzen weiß. Und Eure Tochter ist wunderschön. Ich sollte sie mißhandeln? Ich will sie doch nur glücklich machen.«
Dugald starrte Jamie an und bemühte sich verzweifelt, die Wahrheit in den Augen des jungen Mannes zu erkennen. »Möchte sie Euch heiraten?«
»Nein.«
»Wie könnt Ihr sie dann glücklich machen?«
»Sie lehnt mich wegen unserer Familienfehde ab. Doch wenn wir heiraten, wären wir keine Feinde mehr - oder?«
»Natürlich nicht«, bestätigte Dugald.
»Außerdem fürchtet sie sich ein bißchen vor mir - aber nur, weil sie diese übertriebenen Schauergeschichten von meinen Untaten gehört hat. Sie wird ihre Angst bald überwinden, dafür will ich sorgen.«
»Ich soll ihr also
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