Zorn und Zärtlichkeit
Kinnion geblieben. Nur deshalb hatte sie sich mit Black Gawain eingelassen. Nun zerstörte die Vermählung des Lairds ihre schönsten Zukunftsträume.
Und Sheena war am unglücklichsten von allen. Für sie kam die Hochzeit einer Hinrichtung gleich. Jetzt gehörte sie dem wilden MacKinnion, und er konnte mit ihr machen, was er wollte. Was würde geschehen, wenn seine Lustgefühle erkalteten - wenn er sie nicht mehr begehrte? Dann würde er sich wieder daran erinnern, dass sie eine Fergusson war, seine Todfeindin - und das würde er sie nie vergessen lassen. Sie hätte Schwarz tragen müssen - nicht das schöne Kleid, das Lydia in wenigen Tagen für sie genäht hatte. Es war aus hellgrüner Seide mit einem V-förmigen weißen Spitzeneinsatz am Oberteil und weißen Pelzborten an den weiten Ärmeln. Solche Kleider wurden nur für besondere Anlässe geschneidert. Also hatte Lydia es schon die ganze Zeit gewusst .
Während sie ihren selbstzufriedenen Vater und ihren gutgelaunten Bruder beobachtete, wuchs ihre Verzweiflung. Begriffen sie denn nicht, was sie ihr angetan hatten? Warum ignorierten sie ihren Kummer?
Und ihr Ehemann? Als sie zum letztenmal gewagt hatte, in seine Richtung zu schauen, war er ihr nicht besonders glücklich erschienen. Bereute er schon, dass er sich für immer an sie gebunden hatte?
Zu ihrer Verwirrung erhob er sich plötzlich und kehrte dem festlich gedeckten Tisch den Rücken. Erleichtert atmete Sheena auf und überlegte, ob sie etwas essen sollte - vielleicht von dem gebratenen Wildbret, das so köstlich aussah, oder von den Hochland-Moorhühnern, gefüllt mit Preiselbeeren. Es gab auch Räucherfisch, Hammelpastete, Eintopf mit Rindfleisch, Zickleins, Tauben und Kapaune. Und erst die Süßigkeiten! Haferbrei mit Sahne, Ingwer und Muskatnußkuchen ... Ja, sie würde essen, bis sie kugelrund wurde, und dann würde er sie nicht mehr begehren...
Doch sie kam nicht dazu, ihren Teller zu füllen. Jamie entfernte sich nicht weit genug. Er blieb neben Dugald stehen, wechselte ein paar Worte mit ihm und lachte. Es tat ihr in der Seele weh, mit ansehen zu müssen, wie gut sich ihr Vater mit seinem Schwiegersohn verstand.
Jamie kam zurück, griff nach ihrer Hand und zog sie auf die Beine. Fragend schaute sie ihn an, aber seine Miene verriet nicht, was er vorhatte. Er wollte sie davonführen, doch sie wehrte sich. »Ihr solltet mir sagen, wohin wir gehen, Sir Jamie.«
Er drehte sich zu ihr um und zerrte ungeduldig an ihrem Arm. »Willst du mich schon an unserem Hochzeitstag ärgern?«
»Wenn Ihr mir wenigstens erklären würdet, was...«
»Ich brauche dir nichts zu erklären«, fiel er Sheena ins Wort. »Du bist meine Frau, oder?« fragte er kühl. »Bist du nicht auch dieser Meinung? Sag es!«
Sie wich dem harten Blick seiner braunen Augen aus. »Ja, ich bin Eure Frau«, flüsterte sie.
»Ich habe dich nicht gehört.«
»Ich bin Eure Frau!«
»Dann siehst du also ein, dass ich dir nicht erklären muss , warum du mich begleiten sollst?«
Ihre blauen Augen funkelten vor Zorn. »So ist das also! Nun, wo Ihr am Ziel Eurer Wünsche seid, nehmt Ihr keine Rücksicht auf meine Gefühle? Aber das habt Ihr ja noch nie getan!«
Nun ging eine erstaunliche Veränderung mit ihm vor. Er sah sie fast zärtlich an und grinste beschämt. »Es tut mir leid, Sheena. Es gibt keine Entschuldigung für mein Benehmen, nur... Ach, lassen wir das. Ich führe dich aus dieser Halle, weil ich es gut mit dir meine. Du scheinst dich nicht sonderlich zu amüsieren.«
»Habt Ihr etwas anderes erwartet?«
Jamie seufzte tief auf. »Wollen wir nicht Frieden schließen, oder wenigstens die Waffen niederlegen? Deinem Vater zuliebe? Soll sich der Ärmste Vorwürfe machen, weil er dich mit mir vermählt hat?«
»Als ob er jemals auf diesen Gedanken käme!« entgegnete sie bitter. »Was habt Ihr ihm vorhin gesagt?«
» Dass er nicht erschrecken soll, wenn wir das Fest für eine Weile verlassen.«
" »Für eine Weile?« Wie beängstigend das klang...
Sie starrten sich an, und jetzt verschleierten Jamies Augen nicht mehr, was er dachte. Langsam schüttelte Sheena den Kopf. Sie fühlte sich so seltsam... Irgendwie gelang es ihr, die passenden Worte zu finden und sogar mit ruhiger Stimme zu sprechen. »Wir müssen uns um die Gäste kümmern. Außerdem haben wir noch nichts gegessen...«
Jamie hob eine Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. »Du brauchst dich nicht zu fürchten, das werde ich dir beweisen. Danach kannst du mit den
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