Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)
Spurensicherung, ein stämmiger Mann in weißer Tyvek-Schutzkleidung, kam eilig herbei. Er sah aus wie ein Marsmensch in einem alten Science-Fiction-Film, sein Gesicht war hinter der großen Brille kaum zu erkennen, die Kapuze hatte er bis zu den Augen heruntergezogen.
»Das war kein Unfall, Kollege«, sagte er und schob den Mundschutz nach unten.
»Das dachte ich mir.« Schröder sah weiter hinauf zur Burg, wie ein Tourist, der eine Sehenswürdigkeit bewundert. »Trotzdem wäre es nett, wenn Sie mir das näher erläutern würden.«
»Wir haben Kampfspuren gefunden, oben auf dem Fenstersims.«
»Weiter?«
»Weiter kann ich noch nicht viel sagen. Das Opfer ist dreißig, vierzig Meter in die Tiefe gestürzt. Ich denke, da muss Ihnen der Pathologe weiterhelfen, der Junge wird sich gewehrt haben. Was bedeutet, dass es Abwehrverletzungen geben muss. Und wahrscheinlich Spuren vom Täter.«
Schröder steckte die Hände in die Hosentaschen und wandte sich dem Leiter der Spurensicherung zu. »Das, verehrter Kollege, ist mir klar. Was ist mit anderen Spuren?«
»Der Boden da oben besteht aus Kies, da wird nicht viel zu holen sein.«
»Dann würde ich vorschlagen, Sie drehen jeden einzelnen Stein um.«
Der Mann im Schutzanzug ließ sich seine Verärgerung nicht anmerken. »Wir sind dabei, Herr Hauptkommissar. Wenn da irgendwas zu finden ist, dann finden wir’s.«
»Natürlich. Das war keine Kritik an Ihrer Arbeit.«
»Wissen Sie schon, wer das Opfer ist?«
»Ja«, nickte Schröder. »Das wissen wir.«
Dann rief er Zorn an.
*
»Wo bist du, Chef?«
»Im Büro, wo sonst?«
»Kannst du reden?«
»Nein.«
»Ist Max Brandt bei dir?«
»Ja. Erzähl mir einfach, was es Neues gibt, Schröder.«
»Bei dem Toten handelt es sich um Eric Haubold. Er ist fürchterlich zugerichtet, aber ich habe ihn eindeutig erkannt.«
Zorn sagte nichts.
»Wir haben Spuren gefunden, Chef. Er war nicht allein da oben. Ich gehe davon aus, dass er gestoßen wurde. Aber da können wir erst sicher sein, wenn ich mit dem Pathologen gesprochen habe.«
»Was ist mit Zeugen?«
» Niente. Bisher jedenfalls. Oben auf der Burg war niemand, ich lasse jetzt in der Umgebung nachfragen. Eine junge Frau hat von der Brücke aus gesehen, wie er fiel. Sie steht allerdings unter Schock. Abgesehen davon kann ich mir nicht vorstellen, dass sie auf diese Entfernung Einzelheiten vom Täter erkannt hat. Was sagt Max Brandt?«
»Das erzähl ich dir später.«
»Du musst mit ihm über Martha sprechen, Chef. Vielleicht hat er eine Ahnung, wo sie sein könnte.«
»Was du nicht sagst, Schröder.«
»Ich fahre jetzt zu den Eltern der beiden, wir treffen uns dann nachher.«
»Wo?«
»Wo immer du willst, Chef.«
»In zwei Stunden im Waldkater«, beschied Zorn knapp und unterbrach die Verbindung.
*
Claudius Zorn legte das Telefon beiseite. »Das war Hauptkommissar Schröder. Eric ist tot, Max. Wir haben ihn bei der Burg gefunden.«
»Das kann nicht sein!«
»Beziehungsweise das, was von ihm übrig ist«, fuhr Zorn unbeirrt fort. »Glaub mir, das ist nicht sonderlich viel.«
Max Brandt fuhr sich mit der Hand über den Hals. Seine Augen wurden groß, er starrte Zorn an, als käme er aus einer anderen Galaxie.
»Wie …«, seine Stimme versagte, er schluckte und sah sich hilfesuchend in Zorns Büro um. »Wie ist das passiert?«
»Das ist vorerst nicht wichtig.«
»Doch! Das ist es!« Max sprang auf, der Stuhl fiel polternd um. »Verdammt nochmal, erklären Sie mir, was hier los ist! Was ist passiert? Und warum?« Schweiß lief ihm von der Stirn, seine Lippen bebten.
»Dein Geschrei macht Eric nicht wieder lebendig«, erklärte Zorn ruhig. Max stand zitternd vor dem Schreibtisch. Zorn sah ihn prüfend an. Überlegte, wie er weiter vorgehen sollte.
Es bringt nichts, wenn ich ihn mit Samthandschuhen anfasse, dachte er. Ich muss ihn zum Reden bringen, irgendwie.
Er stand ebenfalls auf, ging um den Schreibtisch herum und lehnte sich an die Kante. »Du wirst mir jetzt erklären, was hier los ist, Max. Ihr beide, Martha und du, seid die Einzigen, die wissen, was hier vor sich geht. Und ihr seid in Gefahr.« Er trat einen Schritt auf Max zu und sagte langsam, jedes einzelne Wort betonend: »Wo ist Martha?«
Max sah zu Boden wie ein geprügelter Hund.
»Ich weiß es nicht.«
»Wann hast du sie zuletzt gesehen?«
»Am Freitag. Wir haben uns bei der Fontäne getroffen.«
»Danach nicht mehr? Heute ist Mittwoch, das war vor fast einer Woche. Habt ihr noch
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