Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)
mal telefoniert?«
»Ich glaube nicht.«
Max begann, an seinem Finger zu knabbern. Zorn nahm seine Hand und schob sie weg. »Lass das. Konzentrier dich gefälligst.«
»Ich hab es Ihnen doch erzählt!«, schluchzte Max auf. »Freitag war das letzte Mal, dass wir gesprochen haben! Und wenn ich eine Ahnung hätte, wo sie ist, würde ich es doch sagen, verdammt!«
»Du magst sie wirklich, oder?«
Der Junge schwieg. Dann nickte er.
Der Ventilator neben der Tür gab ein ersticktes Rattern von sich. Es rumpelte, als der Motor festlief, ein durchdringender Geruch nach verbranntem Gummi durchzog das Büro. Zorn ging zur Tür und zog den Stecker.
»Ich hab seit einer Stunde Feierabend«, sagte er. »Ich bin müde. Und ich hab keinen Bock, länger in diesem Loch zu verbringen, als unbedingt nötig. Okay, ich glaub dir, dass du nicht weißt, wo Martha ist. Das ist aber auch alles. Eure Lügerei geht mir gehörig auf die Nerven.«
»Ich habe nicht gelogen.«
»Du hast mir aber auch nicht die Wahrheit erzählt, oder?«
Zorn riss das Fenster auf, die schwüle Abendluft strömte ins Zimmer.
»Wie meinen Sie das?«
»Ich meine die Wahrheit über Pastor Giese.« Er hob den Stuhl auf und stellte ihn wieder vor seinen Schreibtisch. »Setz dich, Max.«
Max zögerte, dann nahm er Platz.
*
»Es tut mir leid. Ich wünschte, ich hätte bessere Nachrichten für Sie.«
Herr und Frau Haubold saßen auf dem Sofa. Der Schock hatte sie tief in die Kissen gepresst, ihre Gesichter wirkten wie Masken. Erstarrt, als wären sie mit einer Wachsschicht überzogen.
Schröder hatte gegenüber auf einem niedrigen Hocker Platz genommen. »Sie müssen mir sagen, wenn ich etwas für Sie tun kann.«
»Sie können mir meinen Sohn zurückgeben.« Eva Haubold klang dumpf, als habe sie ein Stück Watte im Mund.
Ihr Mann griff nach ihrem Arm. »Du weißt, dass er das nicht kann.«
»Fass mich nicht an!« Sie stieß seine Hand beiseite.
Über dem Sofa tickte eine große Kuckucksuhr, daneben hing ein ungelenk gepinseltes, abstraktes Bild in bunten Temperafarben. Wahrscheinlich, tippte Schröder, ein Werk Eva Haubolds. Was genau es darstellen sollte, war unklar. Vielleicht eine Sonnenblume. Oder ein startendes Flugzeug.
Herr Haubold hustete. Ein kurzes, ersticktes Bellen.
»Sie sagen, jemand hat Eric umgebracht?«
»Ja. Es war kein Selbstmord. Und auch einen Unfall können wir nach jetzigem Stand der Dinge ausschließen.«
Eva Haubold sprang auf. Ein Kissen fiel zu Boden, sie hob es auf und knetete es in ihrem Schoß. Ihr Mann sah zu ihr auf, wieder griff er nach ihrem Arm. Wieder stieß sie seine Hand zurück.
Herr Haubold sah zu Boden und schluckte. »Müssen wir ihn …«
»Ob Sie ihn identifizieren müssen?«, fragte Schröder. »Ja, das wird sich nicht umgehen lassen. Aber es hat Zeit. Wir sind sicher, dass es Eric ist.«
»Ich muss was trinken«, stammelte Eva Haubold, rannte aus dem Zimmer und verschwand in der Küche.
Das Ticken der Uhr wurde lauter.
Schröder nahm seine Aktentasche. »Sind Sie imstande, mir noch ein paar Fragen zu beantworten, Herr Haubold?«
Der Mann nickte.
»Wir glauben, dass Erics Tod mit Marthas Verschwinden zusammenhängt«, begann Schröder. »Bisher haben wir sie noch nicht gefunden. Sie wissen nicht, wo Ihre Tochter sein könnte?«
»Nein. Wir haben alle gefragt, die wir kennen. Ihre Freunde, die Schulkameraden. Es ist nicht Marthas Art, einfach so zu verschwinden. Sicherlich, manchmal bleibt sie über Nacht weg, aber spätestens am nächsten Morgen hat sie sich immer gemeldet. Glauben Sie, dass Martha auch …?« Haubold fuhr sich mit der Hand über die Augen. »Gott, ich halte das nicht aus.«
Aus der Küche erklang ein Schluchzen.
»Wir wissen noch nicht, was passiert sein könnte«, sagte Schröder. »Aber nach meiner Einschätzung ist die Lage ziemlich ernst. Was für ein Verhältnis haben Sie zu Ihrer Tochter?«
»Wie soll es schon sein?« Haubold lockerte seinen Schlips. »Es ist gut. Wir lieben sie, und sie liebt uns. Wir haben keine Geheimnisse voreinander.«
Schröder beugte sich nach vorn und reichte ihm ein Foto.
»Kennen Sie diesen Mann?«
»Natürlich«, erklärte Haubold müde, nachdem er einen kurzen Blick darauf geworfen hatte. »Das ist Pastor Giese.«
»Dieser Mann hat Ihre Kinder sexuell missbraucht. Das vermuten wir zumindest.«
Haubold ließ die Hände sinken. Langsam flatterte das Bild zu Boden.
»Was sagen Sie da?«
»Sie haben verstanden, was ich gesagt
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