Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)
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*
»Jetzt erklären Sie mir noch einmal genau, was Sie gesehen haben, Bolldorf.«
Claudius Zorn gab sich alle Mühe, ruhig zu bleiben. Der Wachtmeister war nur kurz ohnmächtig gewesen, dann hatte man ihn ins Schwesternzimmer gebracht. Draußen rannten die Beamten über den Flur, sie hatten das Krankenhaus absperren lassen, Schröder war unterwegs und suchte nach Zeugen.
Zorn lehnte neben der Tür, eine unangezündete Zigarette in der Hand, Bolldorf saß kleinlaut auf dem Rand einer Pritsche und knetete die Hände im Schoß.
»Ich weiß es nicht«, murmelte er. »Ich war auf dem Klo, als plötzlich der Alarm losging. Mein Gott«, rief er, als habe Zorn etwas gesagt, »es ist doch völlig normal, dass man irgendwann mal pinkeln muss, wenn man den ganzen Tag rumsitzt!«
»Niemand macht Ihnen einen Vorwurf. Genauer gesagt, ich mache Ihnen keinen Vorwurf, was andere später dazu sagen, ist mir momentan völlig egal. Und es geht mir am Arsch vorbei, ob Sie eine Dienstvorschrift verletzt haben oder nicht, Bolldorf. Was passiert ist, ist passiert, jetzt geht es darum, herauszufinden, was hier los war.«
»Ist er tot?«
»Ja.«
Bolldorf schluckte. »Das ist meine Schuld.«
Nee, meine, dachte Zorn. Ich war es, der Giese vom Turm geworfen hat, ohne mich wäre er nie hier auf der Intensivstation gelandet. Aber jammere ich? Das tu ich nicht, stattdessen steh ich hier und spiel den harten Hund.
Die Tür öffnete sich, ein untersetzter Pfleger steckte den Kopf herein.
»Scheiße verdammt nochmal, raus hier!«, brüllte Zorn.
Die Tür schloss sich, er wandte sich wieder an Bolldorf, der auf der Pritsche hockte wie ein begossener Pudel. »Wir haben keine Zeit zu verlieren, also konzentrieren Sie sich gefälligst. Was war, bevor Sie auf Toilette gegangen sind?«
»Da war diese Krankenschwester, sie …«
»Das haben wir oft genug durchgekaut. Die Schwester ging in Gieses Zimmer, Sie sind aufs Klo. Wie viel Zeit ist vergangen, bis der Alarm losging?«
»Dreißig Sekunden, eine Minute höchstens. Als ich auf den Flur bin, habe ich gesehen, wie die Stationstür zufiel. Das muss die Schwester gewesen sein, sie kann sich also nur ein paar Sekunden im Zimmer aufgehalten haben.«
»Wie sah sie aus?«
»Das hab ich doch auch schon gesagt! Blond und groß.«
»Wie groß?«
»Schwer zu sagen.« Bolldorf runzelte die Stirn. »Ich hab gesessen, da kann man die Größe schlecht schätzen.«
»Augenfarbe?«
Der Wachtmeister dachte nach. Dann schüttelte er den Kopf.
»Ich weiß es nicht, Herr Kommissar.«
Zorn warf die unangezündete Zigarette auf den Boden. »Ich denke, Sie sind Polizist? Wir brauchen eine Beschreibung, Bolldorf! Das komplette Krankenhaus ist abgesperrt, wir suchen nach dieser Frau! Okay, ich bin sicher, dass sie schon längst über alle Berge ist, aber mal abgesehen davon: Haben Sie eine Ahnung, wie viele blonde Krankenschwestern hier rumhüpfen, verdammt?«
Bolldorf lockerte seinen Schlips, es schien, als würde er jeden Moment in Tränen ausbrechen. »Es tut mir leid.«
»Das glaub ich Ihnen. Aber es nützt uns nichts. Anstatt Ihre Nase in ein beschissenes Buch zu stecken, hätten Sie wenigstens ab und zu mal die Augen aufmachen können!«
»Es tut mir …«
»Das weiß ich, Mann! Erzähl mir zur Abwechslung mal was Neues!«
Zu Zorns Überraschung antwortete Bolldorf mit einer Gegenfrage.
»Glauben Sie denn, dass es diese Krankenschwester war?«
»Ja wer denn sonst?« Zorn wurde immer wütender. Unwillkürlich begann er, den jungen Wachtmeister zu duzen. »Das Zimmer war eine Minute unbewacht, nicht länger. Denkst du, der Priester war in dieser Zeit kurz einkaufen, hat sich ein Teppichmesser besorgt und sich damit die eigene Kehle durchgeschnitten?«
Immerhin, die Tatwaffe hatten sie. Das Messer hatte direkt neben dem Bett auf dem Boden gelegen.
Wieder öffnete sich die Tür. Schröder erschien und gab Zorn ein Zeichen, dass er ihn sprechen wolle. Zorn nickte, dann baute er sich mit verschränkten Armen vor dem Wachtmeister auf und sagte etwas ruhiger: »Sie warten hier und denken noch einmal nach. Wenn Sie damit fertig sind, gehen Sie ins Präsidium und fertigen ein Phantombild an. Aber vorher lasse ich alle Krankenschwestern zusammentrommeln, die gucken Sie sich alle an. Viel Spaß dabei.«
Die Tür knallte und zitterte in den Angeln.
*
es entgleitet mir
ich muss die kontrolle behalten, aber das ist schwer, die kraft verlässt
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