Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)
Rost blüht auf der Oberfläche. Das alles sieht Martha nicht, sie ist fast blind. Doch sie fühlt das Gewicht, als sie die Zange zu sich heranzieht und vorsichtig anhebt.
Und sie spürt den Arm auf ihrer Hüfte, die Wärme des Körpers, der sich eng an sie geschmiegt hat.
Ein irrsinniges, absurdes Bild entsteht in ihrem Kopf, sie weiß nicht, warum, aber plötzlich muss sie an ein Buch denken: Der Glöckner von Notre Dame , sie hat es vor kurzem gelesen. Zum Schluss wird Esmeralda, die schöne Zigeunerin, hingerichtet und in eine Gruft gebracht. Jahre später werden ihre Gebeine gefunden, doch sie ist nicht allein. Der traurige, hässliche Glöckner ist zu ihr hinabgestiegen. Man findet sein Skelett, er hat sie umarmt, bevor er gestorben ist. Als man es von dem Skelette, welches es umfasst hielt, losmachen wollte, zerfiel es zu Staub.
Sie hat geweint, als sie das gelesen hat.
Doch jetzt ist es anders.
Der, der da neben ihr liegt und sie im Arm hält, ist kein gutmütiger Idiot, er ist ein Monster. Und sie, Martha, ist nicht tot. Nein, sie wird überleben.
Sie dreht sich behutsam auf die Seite, wendet ihm das Gesicht zu. Ihr Arm ist seitlich ausgestreckt, die Zange liegt schwer in ihrer Hand. Sie hat jetzt wieder Gefühl in den Fingern, sie kribbeln, aber sie halten den gebogenen Griff fest umklammert.
Ihr Herz flattert. Sie hat nur einen Versuch.
*
Die Tür öffnete sich, ein uniformierter Beamter erschien, in der Hand hielt er ein DIN-A4-Blatt. »Ich soll Ihnen das Phantombild bringen, Herr Hauptkommissar.«
Schröder stand mit dem Rücken zur Tür und sah aus dem Fenster. »Legen Sie’s mir auf den Tisch, bitte«, sagte er, ohne sich umzudrehen. »Ach, und seien Sie bitte so gut und machen das Licht an, ja?«
Der Lichtschalter klickte, es wurde hell, die Tür wurde lautlos geschlossen. Schröder wandte sich um und ging zum Schreibtisch.
»Das ging aber fix«, murmelte er und nahm das Blatt.
Zwei Sekunden später stürmte er aus dem Büro.
*
Sie hebt die Zange. Wenn sie ihn an der Schläfe trifft, müsste er sofort tot sein. Er schnarcht leise, sie spürt seinen säuerlichen Atem. Draußen, vor dem Fenster, ist Flügelschlagen zu hören, ein großer Vogel landet irgendwo in einem Baum in der Nähe. Sie hört ihn krächzen.
Einmal. Zweimal. Dreimal.
Jetzt.
Dann bellt der Hund.
Kurz und scharf. Es klingt wie ein Donnerschlag.
Die Zange fällt polternd zu Boden.
*
ich schlafe
jetzt ist alles gut, es könnte ewig so weitergehen, ich muss an nichts denken, alles, was ich will, ist ruhe, ich bin müde, so müde, aber jetzt bin ich glücklich, sie liegt neben mir und …
*
Er hat sich aufgerichtet und sieht sich verschlafen um. Es dauert einen Moment, bis er zu sich kommt, dann bemerkt er, dass sie nicht mehr gefesselt ist.
»Wie hast du das denn geschafft?«
Das klingt verwundert, auch ein wenig anerkennend.
»Ich hätte dich doch losgemacht.« Er überlegt eine Weile. »Das glaube ich zumindest. Ich bin ein bisschen durcheinander, aber ich denke, dass ich das vorhatte.«
Er streicht ihr das Haar aus dem Gesicht. Seine Finger sind angenehm kühl, sie wandern über ihre Stirn, tasten nach dem Klebeband.
»Du siehst aus wie ein Zombie«, sagt er und lacht leise. »War ich das? Es ist eklig, wenn man die Augen nicht zumachen kann, oder?« Dann wird er wieder ernst. »Aber jetzt kannst du nicht mehr weggucken. Und du kannst nicht mehr so tun, als ob ich Luft für dich wäre. Du musst mich ansehen, ob du willst oder nicht.«
Sie hört ihm nicht zu. Das wenige Blut, das sie noch hat, rauscht in den Ohren, in ihrem Kopf ist nichts als schwarze, gähnende Leere. Sie hat keine Hoffnung mehr.
Er sieht auf seine Uhr, das Leuchten der giftgrünen Zeiger spiegelt sich in ihren aufgerissenen, toten Augen.
»Es sind noch über zwei Stunden Zeit«, sagt er. »Mitternacht muss ich noch einmal los. Nur kurz, dann hol ich dich, okay? Bis dahin schlaf ich noch ein bisschen.« Er lässt sich zurücksinken, fährt aber sofort wieder auf. »Aber was mach ich, wenn du abhaust? Du bist ja nicht mehr gefesselt. Kann ich dir vertrauen? Was sagst du?«
Er hält sein Ohr dicht an ihren geknebelten Mund.
»Ich versteh dich nicht.«
Sie versucht zu nicken.
»Du musst lauter sprechen.«
Er tut, als würde er lauschen. Als sie nicht antwortet, kratzt er sich nachdenklich am Kopf. »Ich muss sicher sein, dass du hierbleibst.«
Er sieht sich suchend um.
»Ich hab nichts da, womit ich dich fesseln kann.«
Sein Blick
Weitere Kostenlose Bücher