Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)
macht nach einem halben Meter einen Knick und verschwindet dann in der Wand, wahrscheinlich ist es eingemauert. Die Handschelle ist dahinter durchgefädelt, sie lässt sich ebenfalls nicht lösen, das Metall ist unnachgiebig hart.
Bleibt nur ihr Fleisch. Es ist weich.
Das Handgelenk ist aufgescheuert, die Haut hängt in Fetzen herab. Die Sehnen liegen bereits frei, Blut läuft an ihrem Unterarm hinab und tropft hinter ihr auf den Fußboden. Schwarzes, pulsierendes Blut, es wirkt wie Schmierseife. Irgendwann wird das Gelenk durch die Fessel passen. Sie dreht die Hand, knickt den Daumen nach innen. Das Metall fräst sich ins Fleisch. Tiefer, immer tiefer, bis auf die Knochen.
Sie arbeitet langsam. Jede Drehung verdoppelt den Schmerz, sie konzentriert sich darauf. Es tut weh, doch sie genießt es. Solange sie etwas spürt, ist sie am Leben. Sie muss nur die Hand freibekommen, nichts ist jetzt wichtiger.
Es klirrt leise, die Handschelle schabt über das Rohr.
Die Matratze bewegt sich. Er zuckt im Schlaf, sagt etwas. Diesmal ist es deutlicher zu verstehen. Es klingt wie Happy Birthday.
Der Hund hebt den Kopf. Martha Haubold hält den Atem an. Jetzt muss sie vorsichtig sein, ein Glück, dass er bisher nicht auf ihre Hände geachtet hat. Sie wird nicht verrecken wie ein Tier. Nein, sie wird sich wehren, es darf nur nicht mehr allzu lange dauern, sonst verblutet sie.
Zuerst wird sie ihn töten. Danach das Klebeband von den Augen reißen und wenn das getan ist, kann sie endlich trinken. Ja. So wird sie es machen.
Genau in dieser Reihenfolge.
*
»So hat sie ausgesehen. Genau so.« Wachtmeister Bolldorf starrte aufgeregt auf den Monitor. »Die Augenbrauen könnten vielleicht ein wenig dünner, aber ansonsten stimmt alles.«
Der dicke Beamte drückte eine Tastenkombination.
»Besser?«, fragte er und trank einen Schluck Kaffee.
»Viel besser.« Bolldorf sprang auf. »Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich so gut erinnere, aber ja. Das ist sie, eindeutig.«
»Dann«, nickte der dicke Beamte, »wollen wir die Dame mal ausdrucken.«
*
Jetzt kann es nicht mehr lange dauern. Vorsichtig erhöht sie den Druck, dreht die Hand erst nach links, dann nach rechts. Der Schmerz wird schlimmer, ihre Zähne verbeißen sich im Knebel, jetzt wird ihr schlecht. Das muss am Blutverlust liegen, sie hat keine Ahnung, wie viel genau sie verloren hat, aber es muss eine Menge sein.
Sie verschnauft ein paar Sekunden, dann macht sie weiter. Die Handschelle ist schon auf Höhe des Daumens, das ist die dickste Stelle, das Eisen hat sich tief in das Fleisch gegraben.
Ein kurzer Ruck.
Das Metall schabt über den blanken Knochen.
Noch ein Ruck – sie ist frei.
Die Fessel baumelt lose am linken Unterarm. Sie hält den Atem an und lauscht. Er liegt reglos neben ihr, noch immer scheint er tief zu schlafen.
Langsam, ganz langsam lässt sie erst den rechten, dann den linken Arm sinken, er ist bis unter die Achsel nass vom Blut, die Hand hängt schräg am Gelenk, steif, ein nutzloser Klumpen. Das macht nichts, sie hat noch die andere, die gesunde.
Sie tastet über ihr Gesicht, sie muss den Knebel lösen, sie braucht Luft. Dann wird sie das Klebeband abmachen, kurz die Augen schließen, nur ein paarmal zwinkern, vielleicht kann sie dann wieder etwas sehen.
Es geht nicht, die Finger zittern zu sehr, finden keinen Halt, sie sind taub, abgestorben, es dauert zu lange.
Egal, darum kann sie sich später kümmern. Wenn sie ihn getötet hat.
Sie braucht eine Waffe. In der Laube liegt überall Werkzeug herum, sie erinnert sich, dass sie eine Rohrzange gesehen hat, sie muss irgendwo in der Nähe sein. Ihre linke Hand wandert neben die Matratze, die Handschelle hängt noch am Arm, es klappert leise, als sie über die Dielen schleift.
Die Nacht ist vollständig hereingebrochen. Draußen, auf dem Weg, steht eine einzelne Laterne, etwas Licht fällt durch das Fenster herein.
Sie liegt auf dem Rücken, vorsichtig tastet sie über den Boden, spürt die rissigen Dielen, Nägel stehen hervor, dann das Tischbein, daneben liegt etwas Weiches, ein Kissen. Ihre Finger wandern weiter, da ist nichts. Panik steigt in ihr auf, sie kämpft dagegen an, zwingt sich, ruhig und gleichmäßig zu atmen. Schließlich stößt sie auf etwas Hartes.
Ihre Finger schließen sich um einen Griff. Kühles, festes Metall.
Endlich, die Rohrzange.
Sie ist groß, mindestens einen halben Meter lang. Ursprünglich muss sie einmal blau gewesen sein, die Farbe ist abgesplittert,
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