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Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)

Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)

Titel: Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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Jetzt, da er endlich angekommen war, wusste er nicht, was er tun sollte.
    Er befand sich am Rand einer kleinen Wiese. In der Mitte erhob sich der Turm, eine fünfzehn Meter hohe Konstruktion aus blauen Stahlstreben, um die sich eine Eisentreppe im Zickzack nach oben schlängelte, gekrönt von einer Aussichtsplattform, die hoch über den Baumwipfeln zu schweben schien.
    Hier, hinter dem Holunder, war er vom Turm aus nicht zu sehen. Wollte er hinaufsteigen, musste er über die Wiese, die hell im Mondlicht lag. Dann würde er entdeckt werden, vorausgesetzt, Max und sein Verfolger befanden sich oben, auf der Plattform. Davon ging Zorn aus, er wusste nicht warum, aber er war sicher, dass es sich so verhielt.
    Er hielt den Atem an und lauschte.
    Nichts.
    Kann ich denn sicher sein? Was ist, wenn Max ganz woanders ist?, überlegte er und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. Okay, der Schrei kam aus dieser Richtung. Aber genauso gut kann der Junge hier unten irgendwo gefesselt zwischen den Bäumen liegen. Angenommen, ich laufe los. Mist, dann gebe ich ein wunderbares Ziel ab. Während ich gemütlich über die Wiese latsche, kann man mich in Ruhe abknallen.
    Ist das eine Falle?
    Egal, dachte Zorn und humpelte los. Etwas muss ich tun. Ich bin sowieso längst entdeckt worden, bestimmt hab ich mehr Lärm gemacht als ein Elefant, als ich hier raufgekrochen bin.
    In zehn Metern Entfernung, ungefähr auf halber Strecke zum Turm, wuchs eine verkrüppelte Kiefer, ihre Äste reckten sich wie die gichtigen Finger eines alten Mannes in den Himmel. Dorthin hinkte Zorn jetzt und hoffte inständig, nicht gesehen zu werden. Zum einen, weil er nicht erschossen werden wollte, der andere, wichtigere Grund bestand aus der ausgesprochen peinlichen Vorstellung, dabei beobachtet zu werden, wie er, Hauptkommissar Claudius Zorn, auf einem Bein im Mondschein durch die Gegend hüpfte.
    Er erreichte die Kiefer und verzog sich in den Schatten.
    Das Hemd klebte ihm am Körper, Sand knirschte zwischen seinen Zähnen. Zorn schloss die Augen. Der Stamm der Kiefer war angenehm kühl, er lehnte die Wange an die Rinde, schloss die Augen und versuchte erneut, sich nach dem Gehör zu orientieren:
    Das Rauschen des Windes in den Baumwipfeln.
    Der Flügelschlag eines Vogels, der über die Lichtung strich.
    Ein Knacken. Wahrscheinlich ein Fuchs. Oder ein Igel.
    Und noch etwas.
    Gemurmel? Stimmen? Oben, von der Plattform? Waren das Schritte, die über den Stahl klapperten? Noch immer pochte das Blut zwischen seinen Schläfen. Er konnte nicht sicher sein, das ging nur, wenn er hinaufkletterte.
    Scheiße.
    Jetzt hörte er das Einsatzkommando. Drei, vier Wagen kamen in voller Fahrt angerast. Aufgeblendete Scheinwerfer leuchteten zwischen den Bäumen, Blaulicht zuckte von unten herauf. Bremsen quietschten, Türen schlugen, leise Kommandos ertönten.
    Endlich, dachte Zorn. Ihr habt euch ganz schön Zeit gelassen. Und einen Lärm macht ihr, als würdet ihr in den Dritten Weltkrieg ziehen. Immerhin habt ihr keine Sirenen an, wahrscheinlich wollt ihr die Rehe nicht erschrecken.
    Trotzdem, er war erleichtert. Zwei, drei Minuten, und die Kollegen würden hier oben auf dem Berg sein. Sie trugen Schusswesten und waren bewaffnet. Und sie waren für solche Fälle ausgebildet. Jetzt musste er nur noch warten.
    Ein guter Plan, der leider einen kleinen Makel hatte: Er ging nicht auf.
    »Bitte, tun Sie das nicht!«
    Das kam wieder vom Turm.
    Max Brandt flehte um sein Leben.
    »Ich werde nichts sagen, glauben Sie mir!«
    Eine Männerstimme antwortete, ein tiefes, undeutliches Brummen. Oder war das ein Lachen?
    »O Gott, nein!«
    Wieder Max, mit schriller, sich überschlagender Stimme.
    Das, was nun folgte, ereignete sich in weniger als einer Minute.
    Schwere, schnelle Schritte polterten durch den Wald, das Einsatzkommando war unterwegs. Taschenlampen flammten auf, die Schatten der Bäume tanzten über die Lichtung.
    Dann ein weiterer Schrei. Lauter als der erste, ein kreischendes Gurgeln, das abrupt endete, als hätte jemand eine Tür zugeschlagen. Zorn erkannte, dass er nicht mehr warten konnte, und humpelte los.
    Er erreichte den Fuß des Turms. Die Treppe führte außen an den Stahlstreben entlang. Mit der rechten Hand stützte er sich am Geländer ab und hinkte nach oben. Nach zehn Schritten erreichte er einen kleinen Absatz, die Stufen bogen im rechten Winkel ab, folgten der Außenkante des Turms, um weiter oben erneut abzuknicken.
    Zorn blieb kurz stehen und lauschte. Von

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