Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)
geben, benutzte er einige davon zum Schlafen, dann, wenn sie niemand sehen konnte. Er hasste Schlafanzüge.
»Kann ich reinkommen?«
Zorn zuckte die Achseln.
»Aber nur, wenn du mir keine Versicherung aufschwatzst.«
Er hinkte zurück in den Flur, Schröder folgte ihm.
»Schicke Shorts, Chef. Sind das Maiglöckchen?«
»Du kannst mich mal. Geh vor, ich komm gleich.« Zorn wies nach links ins Wohnzimmer und schlurfte weiter aufs Klo.
»Wie spät ist es?« rief er, um das Plätschern zu übertönen.
»Gleich halb zwölf.«
Mist, ich hab verschlafen, dachte Zorn, wusch die Hände und spritzte sich etwas kaltes Wasser ins Gesicht. Nun, das erklärte immerhin, warum Schröder nach dem gestrigen Abend so frisch und ausgeschlafen wirkte und keinerlei Anzeichen eines Katers zeigte.
Im Wohnzimmer warf er sich aufs Sofa, schob sich ein Kissen in den Rücken und legte das Bein hoch. Schröder stand mit dem Rücken zu Zorn und sah aus dem Fenster. Die kleine kugelförmige Silhouette zeichnete sich deutlich vor dem strahlenden Mittagshimmel ab.
»Du hast es schön hier, Chef.«
»Hab ich das?«
»Ja. Ich würde mich hier wohlfühlen. So hoch oben über all dem Dreck, dem Gestank und dem Lärm.«
Zorn schwieg.
»Und die Aussicht ist phantastisch.«
»Das ist mir bewusst, ich wohne hier schon ein paar Jahre.«
»Ist das das neue Stadion da hinten?«
»Nee, der Schiefe Turm von Pisa.«
Schröder lachte auf, dann machte er kehrt und lehnte sich gegen das Fensterbrett.
»Was ist eigentlich mit deinem Bein passiert?«
»Dasselbe wie mit deiner Hand.«
»Wie meinst du das?«
Zorn rieb die verquollenen Augen.
»Nichts Besonderes, das hattest du doch gestern gesagt, oder? Und genauso wenig, wie du über deine Hand redest, rede ich über meinen Fuß.«
»Okay«, nickte Schröder ohne das geringste Anzeichen von Verlegenheit. »Darf ich mal sehen?« Er ging zum Sessel neben dem Sofa, setzte sich und streckte die rechte Hand aus. Die linke war noch immer bandagiert. »Ich werd dir schon nicht weh tun, Chef.«
Zorn richtete sich ächzend auf, hob den Fuß und legte ihn vorsichtig neben Schröder auf den Couchtisch. »Es ist nichts weiter. Nur ein bisschen geschwollen.«
»Du müsstest dir die Fußnägel schneiden, Chef.«
»Das geht dich nichts an!«, blaffte Zorn. »Du sollst dich um den Knöchel kümmern, nicht um meine Zehennägel!«
»Natürlich.«
Schröder tastete behutsam über das Fußgelenk.
»Aua, verdammt!«
»Eine Zerrung. Hast du Verbandszeug?«
»Über dem Waschbecken, im Spiegelschrank.«
Schröder verschwand im Bad. Zorn angelte seine Zigaretten vom Tisch und murmelte halblaut: »Klasse, Hobbychirurg ist er also auch noch.«
»Was sagst du?«, kam es aus dem Bad. Zorn hörte, wie Schröder den Schrank durchsuchte.
»Nichts!«, rief er, gähnte und fuhr sich durch die verstrubbelten Haare. Es ist fast Mittag, dachte er, ich sollte langsam wach werden.
»Na bitte.« Schröder erschien, mit einer weißen Mullbinde und Heftpflaster in der Hand. »Ich hab mir ein Aspirin genommen, wenn’s recht ist.«
»Ach, du hast doch nicht etwa einen Kater?«
»Es hält sich in Grenzen.«
»Du hast gestern Abend gesungen, mein Lieber.«
»Ich weiß. Als Kind wollte ich Opernsänger werden.«
»Und du wolltest meinen Klingelton ändern.«
»Auch das weiß ich noch. Aber du hast mich nicht gelassen.«
»Zum Schluss hast du gesagt, dass ich dich irgendwann jagen würde.«
»Tatsächlich?« Schröder sah auf. Zorn bemerkte, dass seine Augen graublau waren. Und dass sie sehr klar waren, glänzend, wie Glasmurmeln, als würden sie zu einem Kind gehören.
»Genau das hast du gesagt«, wiederholte Zorn. »Dass ich dich vielleicht jagen müsste.«
»Dann war ich offensichtlich doch betrunken. Wahrscheinlich meinte ich nicht jagen, sondern tragen.«
»Dass ich dich tragen müsste?«
»Das wäre doch naheliegend.«
Ja, wahrscheinlich hab ich mich verhört, dachte Zorn. Er war ja wirklich ziemlich hinüber. Trotzdem frage ich mich, warum er eigentlich hergekommen ist.
Mit schnellen, sicheren Bewegungen begann Schröder, den Fuß zu verbinden. Zorn verzog das Gesicht. »Was machst du hier eigentlich?«
»Erste Hilfe, Chef.«
»Du weißt genau, was ich meine.«
»Weiß ich das?«
»Warum bist du hergekommen? Du warst noch nie bei mir in der Wohnung. Du hast mich geweckt, Freundchen. Normalerweise bringe ich jeden um, der das versucht.«
Schröder war vollständig mit seiner Arbeit beschäftigt.
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