Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)
jeder Vollidiot kann das.«
Schön wär’s, dachte Zorn. Egal, soll er mich für einen unfähigen Knallkopf halten. Ich bring das jetzt hinter mich.
Er nahm das Handy und hielt es Max entgegen. »Ich will einen ganz normalen, profanen Klingelton. Irgendetwas, das alle haben. Kriegst du das hin?«
»Ich soll Ihnen …«
»Genau. Ich hab’s versucht. Genauer gesagt, hab ich alles getan, was ich konnte. Aber ich bin zu blöd dazu.«
Das, dachte Zorn, war jetzt mehr als deutlich genug.
Die Wangen des Jungen hatten Farbe bekommen. Er sah auf das Handy, dann zu Zorn, dann wieder auf das Telefon. Langsam stahl sich ein Grinsen auf sein Gesicht.
»Sie wollen einen neuen Klingelton?«
»Du sagst es.«
»Und es soll unter uns bleiben?«
»Du wirst keinem Menschen davon erzählen. Oder ich bring dich für den Rest deines Lebens hinter Gitter.«
»Okay.« Max nahm das Handy. »Ich hab Sie eigentlich für ein Arschloch gehalten. Aber ich glaube, Sie sind ziemlich cool.«
»Vielleicht bin ich einfach nur ein cooles Arschloch.«
»Ja, vielleicht«, nickte Max. Sein Grinsen wurde breiter. »Soll ich?«
»Ich bitte drum.«
Zwei Minuten später saß Claudius Zorn allein in seinem Zimmer. Seine Hose war nass, um ihn herum herrschte ein Chaos, als wäre ein Jumbojet in seinem Büro gelandet. Aber das störte ihn nicht.
Er wählte Schröders Nummer.
»Wärst du so nett und würdest umgehend bei mir erscheinen?«, flötete er ins Handy. »Und beeil dich. Sonst zieh ich dir die Hammelbeine lang.«
Achtzehn
Claudius Zorn hasste seine Dienstwaffe, eine hässliche dunkelgraue Sig Sauer P225. Er verabscheute ihr plumpes Aussehen, den kurzen, wie abgesägt wirkenden Lauf, das kalte, irgendwie schmierige Metall, den Geruch nach Öl und Eisen, und er hasste das Gefühl der Schwere, wenn er die Pistole in die Hand nahm, das unangenehme, elektrische Kribbeln des geriffelten Metalls auf seiner Handfläche.
Ein klobiges kleines Ding, das keinen Sinn ergab. Etwas, das in den Händen eines halbwegs vernunftbegabten, zivilisierten Menschen nichts zu suchen hatte, denn was brachte es schon? Außer Lärm, Schmerz und Tod?
Dumm nur, dass Zorn Polizist war. Eigentlich war er verpflichtet, ständig eine geladene Waffe bei sich zu führen. Was er allerdings nie tat, allein das Gewicht dieses kleinen, gut ein halbes Kilo schweren Ungeheuers hätte ihm die Nerven geraubt. Außerdem war Claudius Zorn ein ungeschickter Mensch. Er war sicher, dass er sich in den mehr als zwanzig Jahren, die er jetzt Polizist war, garantiert ein halbes Dutzend mal ins eigene Bein geschossen hätte, Sicherheitstraining hin oder her.
Er hasste das Training, den Lärm, den Schweißgeruch, die schmuddeligen Ohrenschützer, den Korditgestank. In regelmäßigen Abständen mussten Schießübungen absolviert werden, eine Sache, vor der er sich nicht drücken konnte, die Ergebnisse wurden penibel dokumentiert.
Zorn war ein lausiger Schütze. Wenn er abdrückte, kniff er automatisch die Augen zu, und obwohl er wusste, was folgen würde, zuckte er jedes Mal zusammen, wenn der Schuss losging. Anfangs hatten seine Leistungen noch gerade so im Bereich des Akzeptablen gelegen. Doch seit einigen Jahren nahm er die Zielscheibe in der dämmrigen Schießhalle nur noch als verschwommenen Fleck wahr, und wenn er tatsächlich einmal traf, war das nichts anderes als purer Zufall.
Doch auch hier hatte er einen Weg gefunden, sich an den Vorschriften vorbeizumogeln. Die Leiterin der Schießhalle, eine vierzigjährige, burschikose Polizeiobermeisterin mit grober Gesichtshaut und enormem Hinterteil, mochte nicht nur Schusswaffen, sondern auch ihn, Claudius Zorn. Obwohl sie ihre Schwäche für Zorn hinter einem besonders barschen Auftreten zu verbergen suchte, erkannte er sofort, woran er war (ja, er war fast blind, aber für diese Dinge hatte er ein Auge) und nutzte es skrupellos aus. Ein Lächeln, ein kurzes, wie nebenbei gesagtes Kompliment, und bevor die arme Obermeisterin wusste, wie ihr geschah, fraß sie ihm aus der Hand. So war es denn nicht verwunderlich, dass sie ihn seine Schießergebnisse manipulieren ließ.
Laut Personalakte schoss Claudius Zorn besser als James Bond.
Wie lange das noch gutging, wusste er nicht. Irgendwann, wenn er gar nicht mehr traf, würde er sie ins Kino einladen müssen. Oder schlimmer, zum Essen. Aber bis dahin war noch Zeit, so hoffte er zumindest.
Zorn saß noch immer in seinem Büro und wartete auf Schröder. Die Waffe lag vor ihm auf dem
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