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Zorn - Wo kein Licht

Zorn - Wo kein Licht

Titel: Zorn - Wo kein Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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schwebten sie im Raum wie der Nachhall einer Grubenexplosion. Zorn stand da wie betäubt, er verstand noch immer nicht ganz, was das alles zu bedeuten hatte. Wollte es nicht verstehen.
    Niemand sagte ein Wort.
    Der Richter saß auf der äußersten Kante seines Stuhls, er war, so weit es die Handfessel zuließ, von de Koop weggerückt, als fürchte er, jeden Moment gebissen zu werden.
    Die Tür zum Ostflügel bewegte sich leicht, Zorn glaubte, ein Geräusch zu hören und sah hinüber. Die Verglasung war gesplittert und zum größten Teil herausgebrochen, dahinter gähnte der dunkle Flur. Ein Lichtpunkt huschte vorbei, ein orangefarbener, leuchtender Ball. Zorn erinnerte sich an seine Kindheit, genauso hatte es ausgesehen, wenn sie sich gegenseitig erschrecken wollten und sich eine brennende Taschenlampe in den Mund gesteckt hatten.
    Der Lichtball verschwand, das musste der Lampenmann sein, wahrscheinlich hatte er die Kopflampe mit der Hand bedeckt und saß jetzt in einer der Zellen, brabbelte vor sich hin und spielte mit seinen Puppen.
    Dies alles bekam Zorn nur am Rande mit, er war, schlicht gesagt, überfordert. Der Schock über das Gehörte lähmte ihn, er hatte Zweifel, ob Czernyk überhaupt die Wahrheit gesagt hatte, dazu gesellte sich die Angst vor dem, was als Nächstes folgen würde. Czernyk wollte ein Geständnis, und es schien, als würde er es mit allen Mitteln erzwingen.
    Die Lötlampe brannte auf höchster Stufe, doch Zorn hatte eine Gänsehaut.
    Dann sagte de Koop etwas.
    Vier Worte nur, trotzdem glaubte Zorn, sich verhört zu haben.
    Czernyk schien es ähnlich zu gehen.
    »Wiederholen Sie das«, sagte er und drehte die Lötlampe herunter.
    Das tat de Koop. Laut und unmissverständlich.
    »Ich gebe alles zu.«

Siebenunddreißig
    Die Nacht ist nun vollständig hereingebrochen.
    Hoch oben steht der Mond über dem Kurpark, er scheint hell, wir sehen die Risse im Mauerwerk des Badehauses, das Unkraut in den geborstenen Regenrinnen, das Regenwasser hat schwarze, bemooste Streifen auf der Fassade hinterlassen, selbst die Schwalbennester in den ovalen, zugemauerten Fensteröffnungen erkennen wir, den Vogelkot, die Schmierereien neben der Eingangstür.
    Es scheint, als wäre dies wirklich ein magischer Ort. Efeu raschelt leise im Wind, große schwarze Vögel, Krähen vielleicht, haben sich in den Ästen der alten Bäume verteilt. Von einem Gespenst allerdings ist nirgendwo etwas zu entdecken, kein Geist, kein Golem schleicht da durch das Unterholz, es ist ein kleiner, dicker Mann in einem großen Mantel, er nähert sich dem Badehaus, hält sich im Schatten, vorsichtig schiebt er die Brennnesseln beiseite, immer wieder bleibt er stehen, schaut sich um.
    Nein, magisch ist dieser Ort nicht, magnetisch vielleicht, denn der kleine Mann ist nicht der einzige Gast zu dieser späten Zeit. Es scheint, als würden die Menschen vom Kurpark angezogen werden, draußen, vor dem Bauzaun, läuft eine junge Frau auf und ab, leise klappern ihre Schuhe über das Pflaster. Hundert Meter von ihr entfernt, auf einem Parkplatz, stehen zwei Mannschaftswagen der Polizei, die Scheinwerfer sind ausgeschaltet, im Inneren sitzen Männer in schwarzen Schutzanzügen, großkalibrige Waffen zwischen den Beinen, die Helme haben sie aus der Stirn geschoben, sie trinken Kaffee, unterhalten sich leise.
    Im Badehaus selbst ist es still. Kein Lichtschein dringt nach außen, nichts deutet auf das, was sich im Inneren abspielt, erst recht nicht darauf, was bald folgen wird. Vier Menschen haben sich hier versammelt, ein fünfter hält sich im Ostflügel versteckt. Einer von ihnen will Gerechtigkeit, doch im Moment geht es nur um die Frage, wer überleben wird.
    Ein unhörbares Knistern liegt in der Luft, es scheint, als schwebe eine dunkle Glocke zwischen den schiefen Schornsteinen, eine sacht schwingende, nicht greifbare Mischung aus Angst und drohendem Unheil, unterlegt mit dem metallischen Geruch geronnenen Blutes.
    Nein, dies ist kein guter Ort.
    Zur gleichen Zeit steht in einem kleinen Reihenhaus, nur ein paar Kilometer entfernt, ein alter Mann am Fenster seines Schlafzimmers und sieht hinaus in die Nacht. Sein Blick ist leer, seine Augen glitzern, funkeln wie gefrorene Pfützen nach einem Schneesturm. Er weiß nicht, wo er ist, er weiß auch nicht, wer die schlafende Frau hinter ihm in dem großen Doppelbett ist. Erst recht weiß er nicht, was er als Nächstes tun wird.
    Aber es ist nichts Gutes.
    *
    »Alles, was Sie gesagt haben, ist richtig,

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