Zorn
bedeutete, dass Lucas Del mit dem Lexus-Geländewagen abholte. Del unterhielt sich vor seinem Haus mit einem Mann, der eine Kappe mit der Aufschrift »St. Paul Saints« trug und einen Dackel an der Leine hatte. Del verabschiedete sich von dem Mann, stieg zu Lucas in den Wagen und sagte: »Vielleicht sollte ich mir einen Dackel zulegen.«
»Du hast ein kleines Kind, wozu brauchst du einen Hund?«, fragte Lucas. »Bring einfach dem Kleinen das Apportieren bei.«
»Dackel apportieren nicht. Man züchtet sie, damit sie in Dachsbauten schlüpfen und die Dachse angreifen.«
»So, wie ich deinen Nachwuchs kenne, wäre das genau das Richtige.«
Del ließ sich nicht provozieren. »Ich finde, ein Kind sollte mit einem Haustier aufwachsen. Das nützt der Sozialisierung.«
»Seit wann machen sich alle Gedanken über Sozialisierung?«, fragte Lucas. »Was war mit deiner Sozialisierung? Du hast keine genossen, und trotzdem ist was aus dir geworden. Jedenfalls sitzt du nicht im Knast.«
»Ich versuche, ernsthaft mit dir zu diskutieren«, sagte Del.
Auf dem Weg zu Robert Shermans Haus in der Iowa Avenue unterhielten sie sich weiter über dieses Thema. Lucas, der glaubte, den Weg zu kennen, machte sich trotz der verrückten Straßenbenennungsmethoden in St. Paul nicht die Mühe, die Adresse ins Navi des Geländewagens einzugeben. Als die Straße zu Ende war, bevor sie die gewünschte Nummer erreichten, fuhren sie blind in der Gegend herum und gerieten immer wieder in Sackgassen. Irgendwann lenkte Lucas den Wagen an den Straßenrand und gab die Adresse doch noch ein.
Die Iowa Avenue, stellte sich heraus, bestand aus mehreren Abschnitten. Der gesuchte entpuppte sich als ordentliches Viertel mit älteren Schindelhäusern, dazwischen das eine oder andere aus Ziegeln, dazu nachträglich angebaute Garagen, ausgewachsene Ahornbäume und Eschen entlang der Straßen und Briefkästen am Gehsteigrand.
Shermans Haus stand leicht erhöht. Eine neuere Betonzufahrt führte zu einer Vierergarage dahinter. Im Haus brannte Licht. Als Lucas und Del ausstiegen, zog Del seine Hose hoch, um sich zu vergewissern, ob seine Pistole richtig saß.
»Jemand spielt Klavier«, bemerkte Lucas. Die Musik kam aus einem Haus auf der anderen Straßenseite, eine vertraute Filmmelodie, deren Titel Lucas gerade nicht einfiel. Etwas Altes.
»Und jemand brät Schweinekoteletts«, sagte Del.
»Nächstes Wochenende grillen wir«, erklärte Lucas. »Würstchen und süßen Mais. Wenn niemand mit mir essen will, esse ich eben alles allein.«
»Bravo«, sagte Del.
Sie gingen zum Klang der Musik Shermans Auffahrt hinauf.
Sherman, ein korpulenter Mann, kam in Jogginghose und T-Shirt mit dem Aufdruck »St. Thomas« an die Fliegengittertür. Lucas dachte gleich: Das ist nicht der Richtige. Er ähnelte tatsächlich dem Mann auf dem Phantombild von Fell, hatte aber ein fröhliches Gesicht, keine hängenden Mundwinkel wie dieser. Sherman hielt eine Bierdose in der Hand.
Sherman sagte hinter der Fliegengittertür: »Sie sehen nicht wie Zeugen Jehovas aus.«
»Nein, wir sind vom Staatskriminalamt«, bestätigte Del und zeigte ihm seinen Dienstausweis. »Wir würden gern mit Ihnen reden.«
Sherman warf einen Blick auf Dels Ausweis, öffnete die Tür und trat hinaus auf die Veranda. »Was gibt’s?«
»Ein Anrufer behauptet, Sie könnten uns möglicherweise bei den Ermittlungen zu den Morden an den Jones-Mädchen helfen …«
»Sie finden, ich schaue aus wie der Typ, stimmt’s?«, stellte Sherman fest. »Meine Frau sagt das auch. Sie hat das Bild im Fernsehen gesehen.«
Er hatte also eine Frau; Lucas konnte sich nicht vorstellen, dass John Fell verheiratet war. »Unsere Quelle behauptet, dass Sie möglicherweise schon mal Probleme wegen sexueller Fragen gehabt haben«, erklärte Lucas.
»Sexuelle Fragen?«, wiederholte Sherman verärgert. »Was soll das heißen? Dass ich pervers bin?«
»Nun, jemand hat angedeutet …«, begann Lucas.
»Ganz ruhig«, versuchte Del zu beschwichtigen.
»Schwachsinn«, entgegnete Sherman mit lauter werdender Stimme. »Abgesehen von einigen Knöllchen vor ein paar Jahren, hab ich mir nichts zuschulden kommen lassen …« Plötzlich drehte er den Kopf nach links, sah über Dels Kopf hinweg und rief: »Du Mistkerl!«
Als Lucas seinem Blick folgte, bemerkte er einen anderen Mann, der aus dem offenen Tor seiner Garage herüberschaute. In seinem Gesicht spiegelte sich eine Mischung aus Wut und Schadenfreude. Er rief zurück: »Jetzt
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