Zorn
den Apparat brüllen musste, weil im Hintergrund laute Motorengeräusche zu hören waren. »Wo seid ihr?«
»In der Iowa Avenue, bei der Rice Street.«
»Kommt zur Ecke Rice und Maryland, mit Blaulicht und Sirene … Kommt so schnell wie möglich.«
»Was ist los?«
»Kommt einfach.«
FÜNFZEHN
Marcy Sherill verpasste Kelly Barkers Auftritt in den Mittagsnachrichten, ließ sich davon erzählen und sah sie dann selbst um sechs Uhr auf KARE. Sie hatte gewusst, dass der Jones-Fall schwierig werden würde, und Davenport machte ihn noch komplizierter.
Sie konnte verstehen, dass er ein persönliches Interesse an den Ermittlungen hatte, doch das brachte ihn dazu, alles niederzuwalzen, was ihm im Weg stand. Marcy vermutete, dass er die Medien manipulierte, um die Polizei von Minneapolis unter Druck zu setzen und zu intensiveren Nachforschungen über den geheimnisvollen John Fell zu veranlassen.
Ihre sonstige Arbeit interessierte Davenport nicht – allerdings musste Marcy zugeben, dass sie momentan nicht ernsthaft gefordert war. Die Mordrate sank kontinuierlich, Vergewaltigungen und Überfälle wurden seltener, der Einfluss der Banden nahm ab. Ihrer Ansicht nach hatte das damit zu tun, dass der Handel mit Kokain und Methamphetamin stagnierte, während die Qualität von Marihuana stetig stieg.
Und sie glaubte, dass von jemandem, der es sich mit einem Joint und einer Tüte Nachos vor dem Fernseher gemütlich machte, weniger Gefahr für die Bürger ausging als von jemandem, der verzweifelt auf der Suche nach dem nächsten Schuss war.
Davenport hatte in seiner Zeit bei der Polizei von Minneapolis genauso mit den Medien gespielt wie nun beim SKA. Und, dachte Marcy, sie hatte ihm selbst oft genug dabei geholfen …
Trotzdem ärgerte es sie. Der Chef würde sie anrufen und in seiner beiläufigen Art und mit seiner kumpelhaften Stimme fragen: »Hatten Sie schon Gelegenheit, mit dieser Kelly Barker zu reden? Die ist ja jetzt auf allen Kanälen.«
Der Chef verbrachte viel Zeit mit Fernsehen.
Sie saß in ihrem Büro, die Füße auf dem Schreibtisch, den Blick auf einen kleinen Flachbildschirm gerichtet, auf dem Kelly Barker zu sehen war. Nach der Sendung rief Marcy Buster Hill im anderen Zimmer zu: »Hey, Buster. Besorg mir Adresse und Telefonnummer von dieser Kelly Barker. Sie wohnt irgendwo in Bloomington.«
Buster, der sich gern als endomorph, nicht als dick bezeichnete, streckte den Kopf zur Tür herein und fragte: »Wollen wir mit ihr reden?«
»Wir müssen«, antwortete Marcy. »Sie ist auf allen Kanälen, sie hat das Phantombild vom SKA …«
»Ernsthaft oder nur wegen der Medien?«
Marcy gähnte. Ihr Freund war in Dallas, und sie fühlte sich ein wenig einsam. »Hauptsächlich wegen der Medien … Sie hat die Geschichte so oft erzählt, dass ich sie auswendig kann.«
»Soll ich das erledigen?«
»Begleite mich, und mach dir Notizen. Von dort aus fahre ich dann nach Hause.«
Buster recherchierte Adresse und Handynummer. Kelly Barker sagte, sie würde sich freuen, mit Sherrill zu sprechen; sie wäre den ganzen Abend zu Hause.
Marcy und Buster machten sich in zwei Fahrzeugen auf den Weg. Sie fuhren die I-35 W durch das südliche Minneapolis, am Flughafen vorbei, Richtung Westen auf der I-494 und wieder nach Süden, während die Sonne am nordwestlichen Horizont unterging.
Marcy dachte über Davenport nach. Er war ein arroganter Bastard, attraktiv und wohlhabend, was er mit seinem Wagen und den italienischen Anzügen demonstrierte. Einmal hatten sie bei einem Fall zusammengearbeitet, der sie mehr oder minder direkt ins Bett führte … Vierzig Tage und vierzig Nächte, so bezeichnete Davenport ihre Affäre von damals. Sie war kurz und intensiv gewesen, und Marcy hatte nach wie vor eine Schwäche für ihn.
Würde Marcy zu ihm zurückkehren, falls er Weather jemals verlassen sollte? Er würde Weather nie verlassen, denn er war loyal. Einmal Davenports Freund, immer Davenports Freund. Außerdem würde seine Ehe mit Weather bis ins Grab halten. Apropos Grab: Falls Weather vom Zug überfahren würde und Davenport Marcy nach einer angemessenen Zeit zu verstehen gab, dass er sich nach weiblicher Gesellschaft sehnte …
Denkbar. Aber was wurde dann aus Rick? Rick verdiente sich sein Geld mit telefonischer Anlageberatung. Ihm gefiel es, Boyfriend einer Polizistin zu sein, und er bestand darauf, dass sie, wenn sie abends ausgingen, ihre Waffe trug. Das musste er ihr nicht zweimal sagen, weil sie Waffen liebte.
Doch
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