zorneskalt: Thriller (German Edition)
ideal zusammen. Er bedeutete mir alles. Du musst uns gesehen und gedacht haben, wir wären zu perfekt. Du musst uns miteinander beobachtet und beschlossen haben, uns zu zerstören.
Um das zu tun, musst du mich gehasst haben.
Die Vorstellung, dass du mich gehasst und ich dich geliebt hatte, traf mich mit solcher Gewalt, dass es mir den Atem verschlug, bis ich kaum noch Luft bekam. Der Gedanke wirbelte sich verheddernd durch meinen Kopf, machte mich schwindlig. Und die ganze Zeit hatte ich ein Bild vor Augen: Jonnys Leichnam auf einem riesigen Bildschirm, diese blauen toten Lippen und die Vergeudung, die schreckliche, grausige, beschissen nutzlose Vergeudung eines Lebens.
Mir stieg ein Schrei in die Kehle, um den Raum zu füllen, aber dieser Raum war für ihn zu klein, deshalb breitete er sich den Flur entlang und in die Küche aus, bevor er auf die Straße hinausplatzte. An diesem Abend muss ganz London meinen Schrei gehört haben, der von dem in mir brausenden Hochofen befeuert wurde.
Was danach geschah, war deine Schuld, Clara. Du hattest mich dazu getrieben.
Du hattest die Regeln festgelegt und mich gezwungen, in deinem eigenen Spiel gegen dich anzutreten.
Ich konnte nicht aufhören, an Jonny zu denken, konnte nicht akzeptieren, dass er fort war und nie wiederkehren würde. Sein Verlust folgte mir nicht wie ein Schatten, sondern wurde ein Teil von mir, setzte sich tief in meinem Innersten fest. Ich war davon besessen.
Aber meine wahnhafte Trauer spornte mich auch an wie ein in mir surrender Motor, dem niemals der Treibstoff ausging. Manche Leute brechen unter einer solchen Last zusammen, andere treibt sie dazu, mehr zu tun, mehr zu sein, als sie je für möglich gehalten hätten. Dir brauche ich nicht zu erzählen, zu welcher Kategorie ich gehörte, Clara.
Als du verschwunden warst, hatte ich deine Story anfangs verfolgen wollen, um möglichst viele Informationen sammeln und dich vielleicht aufspüren zu können. Da hatte ich noch geglaubt, du wärst vermisst. Aber nun hatte ich dringendere Gründe, um die Berichterstattung über dich beeinflussen zu wollen. Sollte ich gegen dich antreten, mussten die Leute sehen, wie du wirklich warst.
Wie so viele tote (oder tot geglaubte ) Leute war die Clara O’Connor, von der die Medien berichteten, bisher eine sorglose, lebensfrohe, schöne junge Frau, die Heldin ihrer eigenen Tragödie. Selbst die Polizei hatte die dunkleren Kapitel deiner Vergangenheit geschönt, weil sie verzweifelt bemüht war, die Berichterstattung, die ihren stockenden Ermittlungen helfen sollte, nicht einschlafen zu lassen.
Ich musste dein Bild korrigieren und dich wissen lassen, dass ich dir auf den Fersen war. Dazu musste ich Robbie irgendwie überreden, mich wieder auf deine Story anzusetzen.
Meine Rückkehr in die Nachrichtenredaktion, nur wenige Tage nachdem Jonny tot aufgefunden worden war, brachte jedoch eigene Probleme mit sich. Auf dem Weg zu Robbies Schreibtisch war mir bewusst, dass meine Anwesenheit, mein sorgfältiges Make-up, mein Hosenanzug mit Nadelstreifen alles Geschwätz verstummen ließen. Es sank zu einem überraschten Flüstern herab. Köpfe wurden gehoben, Augen weiteten sich. Macht man normal weiter, wenn erwartet wird, dass man sich verkriecht und jammert und heult und sich seiner Trauer hingibt, erweckt man Misstrauen. Dass ich gehen und reden und atmen kann, bedeutet nicht, dass ich innerlich nicht sterbe, hätte ich am liebsten laut gerufen.
Aber was hätte das genutzt?
Außerdem erkannte ich, dass auch ich schon solche Urteile gefällt und die Motive des Vaters, der den Tod seines Kindes allzu gefasst aufnahm, oder die des Ehemanns, der sich allzu genau an die Ereignisse vor dem Verschwinden seiner Frau erinnerte, in Zweifel gezogen hatte. Trauernde müssen die ihnen von uns zugedachten Rollen spielen, sonst werden sie zu Schurken.
Letzten Endes setzte ich einfach einen Fuß vor den anderen und ging weiter, bis ich den Schreibtisch erreichte. Und dann wurde Robbie auf mich aufmerksam. » Ich geb einen Kaffee aus«, sagte er auf für ihn untypische Weise und zog mich mit sich hinaus.
Auf unserem Tisch in der Kantine lag der Daily Telegraph mit deinem Bild zwischen Fotos von Jonny und mir auf der Titelseite. Robbie setzte sich mit einem Schinkensandwich in der Hand hin; er musste sich sichtlich beherrschen, um die Zeitung nicht umzudrehen und so das Geschehen einfach zu leugnen. » Polizei tappt immer noch im Dunkeln«, verkündete die Schlagzeile, und die
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