zorneskalt: Thriller (German Edition)
hat gesehen, wie es dort drinnen für mich war. Mein Zustand hat sich verschlimmert, nicht gebessert. Ihm ist klar geworden, dass er mich nie dort hätte reinstecken dürfen. Dass er nicht auf dich hätte hören sollen.«
In mir schäumt Wut hoch. Wer gibt dir die Erlaubnis, die Vergangenheit umzuschreiben, sie mit eigenen Schurken und Helden zu bevölkern? Dies mag deine Wahrheit sein, aber es ist nicht meine.
» Glaubst du wirklich, dass ich das alles im Alleingang veranlasst habe? Ein Arzt musste das Formular gemeinsam mit deinem Dad unterschreiben. Dein Dad hat dich in die Klinik gebracht. Und er hat dich dagelassen, weil er sehen konnte, dass du krank warst. Wie oft hat er dich blutend aufgefunden, nachdem du dich geritzt hattest? Er hatte Angst, er würde eines Tages heimkommen und dich tot vorfinden. Ja, ich habe ihn in seinem Entschluss bekräftigt, das gebe ich offen zu. Ja, wir haben deinen Fall besprochen. Er brauchte jemanden, mit dem er reden konnte. Aber ich habe dich nicht dort eingewiesen. Er konnte sehen, dass du zerbrochen warst, und wollte dich wieder heil machen lassen.«
Ich denke an die Wochen vor jenem Tag, an dem er behauptete, er fahre mit dir zum Shopping, und dich stattdessen in die Klinik brachte. Unsere geheimen Unterredungen, bei denen wir uns anvertrauten, wie besorgt wir deinetwegen waren. Dein Dad hatte mich allmählich ins Vertrauen gezogen; er fing an, meine Meinung einzuholen, während er darüber nachgrübelte, wie er dir am besten helfen konnte. Er wandte sich an mich, als wüsste ich alle Antworten, und ich genoss die Wärme seiner Aufmerksamkeit, fühlte mich auf seltsame Weise wertgeschätzt.
Er kehrte damals mit rot geweinten Augen zurück, nachdem er dich dagelassen hatte. Ich tröstete ihn den ganzen Nachmittag lang, als er jammerte, von deinen Bitten klängen ihm noch immer die Ohren.
» Manchmal muss man grausam sein, um seine Liebe zu zeigen«, erklärte ich ihm.
Eine Zeit lang bist du still. Nur das Geschrei der Möwen bricht das Schweigen, als es durchs Fenster hereinschwebt.
Dann klappst du das Fotoalbum zu, durchquerst das Wohnzimmer und bleibst am Kaminsims stehen. Jemand hat dir eine Ansichtskarte aus Melbourne geschickt. Du greifst geistesabwesend danach und drehst sie um.
» Habe ich dir gefehlt?«, fragst du leise. Deine Frage scheint den im Zimmer herrschenden Druck zu vermindern.
Ich denke daran, wie es zum Ende hin war; wie meine Mutter und du gemeinsame Sache gemacht und mich runtergezogen habt. Ich erinnere mich daran, wie mir zumute war, als ihr beide fort wart, welches Gefühl der Schwerelosigkeit ich empfand. Ich war voll neuer Energie, als würde die dir entweichende Lebenskraft direkt in mich hineingepumpt.
Aber das erzählte ich dir nicht. Du solltest nicht glauben, ich hätte von deiner Abwesenheit profitiert.
» Jeden Tag«, sagte ich. » Du hast mir jeden Tag gefehlt.« Als du zum Sofa zurückkommst, stehe ich mit ausgestreckten Armen auf. » Können wir das alles hinter uns lassen?«, frage ich und ziehe dich an mich. » Freunde?«
» Freunde«, lügst du.
18
Oh, wie viel Zeit ich deinetwegen vergeudet habe, Clara, die stundenlangen Anrufe, die E-Mails, die Einladungen, die umständlichen Treffen, der Urlaub (eine ganze Woche Skifahren) – das alles überflutete mich jetzt in Form von Schnappschüssen, die durch meinen Kopf flimmerten. Diese gewaltige, monumentale Anstrengung meinerseits, um die undefinierbare Magie, die uns zusammengeführt und uns das Gefühl gegeben hatte, unzertren nlich zu sein, wieder aufleben zu lassen. Alles vergebens.
Wieso erkannte ich nicht, dass die Magie längst verflogen war?
Du hattest dein Spiel mit mir getrieben, Clara, ein grausames Spiel.
Und ich hatte mich zum Narren halten lassen.
Weil das Ergebnis der Obduktion kein Zufall war.
Du musstest alles geplant und dir den Augenblick vorgestellt haben, in dem es mir vorgelesen würde – den Augenblick, in dem die Wahrheit, widerwärtig und verdreht, sich so laut und deutlich artikulierte, dass für Zweifel kein Raum mehr blieb.
Du wolltest mich verletzen.
Dafür ausgesucht hattest du dir den Menschen, den einzigen Menschen nach dir, der jemals imstande gewesen war, die schmerzhaft gewaltige Leere in meinem Inneren auszufüllen.
Du hattest mich schon einmal fast vernichtet, als du mich ohne Vorwarnung ausgeschlossen hattest. Ich hatte mich davon erholt, mir ein eigenes Leben aufgebaut, und dann hatte ich Jonny kennengelernt, und wir passten so
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