zorneskalt: Thriller (German Edition)
Clara. Siehst du nicht, dass Niamh in meinem Revier wildert, mir etwas wegnimmt, das mir gehört?
» Sie will doch nur freundlich sein«, hast du gesagt, als ich dich (durch die Blume) gefragt habe, weshalb ausgerechnet sie eine Feier für dich ausrichten sollte.
Niamh ist niemals freundlich.
Aber das bei Weitem Erstaunlichste von allem, was ich bemerkt habe, ist die Tatsache, dass Niamh nüchtern bleibt, wenn du bei uns bist. Das tut sie für niemanden. Weil sie den Alkohol benutzt, um alle anderen auszuschließen, muss das bedeuten, dass sie dich einlassen will, nur dich allein. Und das schmerzt, denn bei jedem deiner Besuche hältst du einen kleinen Spiegel hoch, der mir die Frau zeigt, die meine Mom hätte sein sollen. Die dich bemuttert, dich nach der Schule, nach deinen Freunden ausfragt.
Ich möchte dich wissen lassen, wie ich mich dabei fühle, Clara, aber es fällt mir schwer, mir darüber klar zu werden. Vielleicht würdest du zu verstehen beginnen, wenn ich dir erzählen würde, dass mich trotz der Hitze, trotz des grellen, unerbittlichen Sonnenscheins fröstelt, wenn ich dich mit Niamh zusammen sehe. Ich werde hinausgeekelt und kann dieses Gefühl, als wäre ich nicht mehr da, nicht ertragen.
Als Erstes fällt mir heute an Niamh auf, dass sie trinkt. Nicht so viel, dass es sie irgendwie beeinträchtigt, aber sie trinkt ganz eindeutig. Sie holt Würstchen aus dem Kühlschrank, macht Nudelsalat mit Schinken, Walnüssen und Trauben – eine seltsame Kreation, auf der sie jedoch besteht –, dazu einen Kartoffel- und einen Tomatensalat.
Drei Salate für drei Personen.
» Ich weiß nicht, ob das für uns alle reicht«, sage ich.
Sie sieht vom Hackbrett auf und kneift die Augen zusammen, während sie mich betrachtet. Ihr Blick bleibt etwas länger auf mich gerichtet als sonst, dann schüttelt sie kaum merklich den Kopf und schneidet weiter.
Mir fällt auf, dass sie » Don’t Worry« von Bob Marley summt, das vermutlich nie gesummt werden sollte, und sie summt es ohnehin viel zu schnell. Schneidet Gurken und Erdbeeren für den Pimm’s und summt dabei zu schnell. » Scheiße!«, ruft sie, als sie sich in den Finger schneidet. An der Messerklinge ist Rot, das nicht von den Erdbeeren kommt, aber sie steckt nur den Finger in den Mund und macht weiter. Ich nehme mir vor, keine Pimm’s zu trinken. Sie greift nach dem Krug, und ich höre das Gluck, gluck, gluck der Flüssigkeit, drei Viertel Pimm’s, der Rest Limonade. Sie sieht meinen Blick. » Das Zeug enthält kaum Alkohol, und außerdem wird sie morgen achtzehn.« Sie gießt sich ein Glas ein, füllt es mit Wodka auf. Ich höre den Drink in ihrer Kehle gluckern. Ich hasse dieses Geräusch. Sie nimmt einen weiteren Schluck, und ich starre sie an, weil ihre Hände noch mehr zittern als sonst, obwohl sie normalerweise schon stark zittern. » Ist was?«, faucht sie. Ich gebe keine Antwort, denn ich weiß, dass das keine Frage ist. » Wer bist du überhaupt, Rachel, die Spaßpolizei? Warum machst du dich nicht ein bisschen nützlich? Immerhin ist dies eine Party für deine Freundin. Stell die Stühle in den Garten, damit es nett aussieht, wenn sie kommt.«
Ich betrachte ihr Gesicht und denke mir, sie hätte besser auf ihren Teint achten, weniger in die Sonne gehen sollen. Die Haut spannt sich ledrig über den Wangenknochen.
Draußen ertönt in Abständen von zehn Sekunden eine ungeduldige Autohupe. Die Nachbarskinder streiten sich im Garten. Ich höre Niamh kreischen: » Mach jetzt, Rachel, SOFORT !«
Als ich die Küche verlasse und nach draußen gehe, nehme ich die Gießkanne mit, fülle sie aus dem Gartenschlauch und gehe damit zu meinem Teil des Gartens. Dort wachsen Sonnenblumen und Pfingstrosen und Iris, meine wunderschönen Iris. Die Blumen bilden die einzigen Farbkleckse in einer ansonsten eintönig braungrünen Umgebung.
Und sie gehören mir, denke ich stolz. Dass sie sich so prächtig entwickelt haben, ist meiner sorgsamen täglichen Pflege zu verdanken.
Niamh muss beobachtet haben, wie ich sie bewundere, denn ich höre sie so laut keifen, dass die Nachbarn es auch hören müssen: » Die Stühle, Rachel! Lass die verdammten Blumen, und mach dich ausnahmsweise nützlich!«
Ich ignoriere sie, konzentriere mich stattdessen darauf, die Pflanzen zu gießen. Darin ist ein gewisser Rhythmus zu finden. Man tut es langsam, lässt das Wasser ein wenig einsickern, bevor man ihnen noch etwas mehr gibt, sodass die hellbraune Erde feucht und dunkel wird.
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