zorneskalt: Thriller (German Edition)
dieser Augenblick des Zweifels. Wundervoll wärmender Zweifel, der mich durchflutet. Vielleicht muss es doch nicht so weitergehen.
Dann spüre ich einen Hitzeblitz auf dem Gesicht, und das Klatschen einer Ohrfeige zerreißt die Stille. Als ich sie wieder ansehe, ist die Träne abgewischt, und ihre kalten, leeren Augen starren durch mich hindurch. Ich falle aufs Bett zurück und habe heftiges Ohrensausen. Mein Zorn ist heißer als draußen die Sonne. Er ist vulkanisch. Und während ich sehe, wie Niamh aus meinem Zimmer marschiert, kreische ich: » Das tust du niemals wieder, das schwör ich dir!«
Ungefähr eine halbe Stunde später wird geklingelt, und Niamh ist an der Haustür, noch bevor ich auch nur vom Bett hochkomme. » Ah, das Geburtstagskind!«, trillert sie, als wäre sie eine andere Frau als die, die mich gerade eben noch geohrfeigt hat. Ihre Worte, süß wie Sacharin, schweben die Treppe hinauf, erreichen mein Ohr. Ich spüre, wie mir Galle hochkommt. Ich höre, wie sie zu viel und zu schnell redet, ihr Tonfall bemüht. » Achtzehn und schon so erwachsen. Sieh dich nur an! Du siehst toll aus.« Richtig unheimlich, wie sie sich aufführt. Ihre Sätze haben weder Anfang noch Ende, sie brabbelt nur. Ich frage mich, wie viele Pimm’s mit Wodka sie schon getrunken haben mag. » Und weil du achtzehn bist, dachte ich, du solltest einen speziellen Geburtstagsdrink kriegen. Es ist nur Pimm’s. Auch wenn dein Vater dagegen wäre.«
Du sagst ihr, dass dein Geburtstag erst morgen ist. » Heute bin ich noch siebzehn, Niamh.«
» Doppelt Grund zum Feiern.« Sie lacht, als hätte sie etwas wahnsinnig Komisches gesagt.
Ich höre deine Schritte auf dem Holzboden. Du trägst etwas Härteres als Flipflops. Und auch ein Kleid? Hast du dich für die Party hübsch gemacht?
Jetzt ist unter mir Lachen zu hören. Deines ist melodisch, ihres lauter und hektischer. Ich stelle mir vor, wie Niamh dir einen Pimm’s eingießt. Gläserklirren. Ihr stoßt miteinander an. » Cheers«, sagst du bestimmt, obwohl ich das nicht höre. Fragst du gar nicht, wo ich bin? Hast du nicht mal gemerkt, dass ich nicht da bin?
Ich liege auf meinem Bett und drücke das Gesicht ins Kissen, um es kühl auf meiner Haut, an meiner brennenden Wange zu spüren. Dann setze ich mich auf, um die Fotos an meiner Wand zu betrachten. Du und ich, ich und du. Auf dem Pier, am Strand, oben am Devil’s Dyke. Ein Schullandheim in Shropshire, wir lächelnd am Ufer des Sees, der uns heiter und freundlich erschien, bis Lucy Redfern darin ertrank, was ihn finster und unheimlich machte. Eine gemeinsame Vergangenheit, die uns verbindet.
Ich stehe auf und betrachte mich im Spiegel. Meine linke Wange ist röter als die rechte, aber Spuren ihrer Finger sind keine zu sehen. Sie brennt noch immer. Meine Augen sind rot. Dass sie blutunterlaufen sind, kommt von der Wut, nicht von den Tränen. Von unten dringt wieder Lachen herauf, bohrt sich in meinen Kopf. Ich bewege mich. Mein Körper scheint im Augenblick hundertdreißig Kilo zu wiegen, und ich habe Mühe, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Aber ich tue es. Ich komme runter, um dich zu sehen, mit dir zu feiern. Es hat immer nur dich und mich gegeben. Ich lasse nicht zu, dass Niamh sich zwischen uns drängt.
Sie facht die Flammen im Grill an, versucht es zumindest. Ohne großen Erfolg. Die Flammen schlagen heraus, lecken ihr die Hände, liebkosen ihr Gesicht. » Schei ße«, sagt sie mit ihrer blasiert klingenden, rauen Stimme und dreht sich nach mir um. Trotz des Rauchs müssen meine Umrisse zu erkennen sein, aber sie sieht glatt durch mich hindurch. Ich existiere nicht. Ihr Gesicht wirkt durch das Hitzeflimmern und den Rauch des Grills verzerrt. Es ist faltig, und die Wimperntusche, die sie mit religiösem Eifer trägt, ist verlaufen, um die Augen herum verschmiert. Sie sieht aus wie eben der Hölle entstiegen.
Dann spüre ich jemanden hinter mir.
» Typisch, dass du uns warten lässt, Rachel.« Du drückst mir ein Glas Pimm’s in die Hand. » Für dich, ich hab’s mit Wodka aufgefüllt, als sie nicht hergesehen hat. Willst du mir nicht alles Gute zum Geburtstag wünschen?« Du trägst ein kurzes orangerotes Strandkleid mit Nackenband, und deine gebräunten Beine enden in braunen Keilsandalen. Du hast auch deine Zehennägel orange lackiert.
» Du bist noch nicht achtzehn.«
» Ich feiere mehrmals, genau wie die Queen.« Du wiederholst jetzt, was sie gesagt hat.
» Gut siehst du aus«, sage ich und versuche,
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