zorneskalt: Thriller (German Edition)
funktioniert nicht, wenn eine Seite sich nicht mehr an die Übereinkunft hält.
» Es gibt nichts zu erzählen«, sage ich ruhig.
» Erzähl der Polizei, was du gerade mir erzählt hast. Erzähl’s ihnen. Du hast ihr die Tabletten gegeben.«
Du raufst dir die Haare mit einer Hand und kaust an den Fingernägeln der anderen. Die witzige, gelassene, selbstbewusste Clara löst sich vor meinen Augen auf. Und du verlangst weiter kreischend, dass ich die Polizei anrufen soll, aber das tue ich nicht, das kann ich nicht. Ich habe eben erst meine Freiheit von Niamh erlangt. Jetzt blicke ich nach vorn in eine Zukunft, in der ich alles sein kann, was ich will. Ich werde nicht zulassen, dass du sie gefährdest.
» Beruhige dich, Clara«, sage ich und bin selbst von meiner Stimme überrascht, die jemand anderem zu gehören scheint: tief und gemessen und beherrscht. Sie passt zu mir, finde ich.
Aber du beruhigst dich nicht. » Wenn du’s nicht tust, mach ich’s«, schreist du und versuchst, mir den Hörer zu entwinden.
» Was willst du denn erzählen?«, frage ich dich. » Was genau willst du denn sagen?« Irgendetwas in meiner Stimme lässt dich erstarren, während du mich mit wässrigem Blick fixierst. Das lässt mich selbstbewusst fortfahren. » Na?«, frage ich. » Willst du der Polizei erzählen, dass du ihr die Schlaftabletten gegeben hast?«
Du schüttelst ungläubig den Kopf. » Nein, nein, das traust du dich nicht, Rachel. Das darfst du nicht. Tu mir das nicht an. Du warst’s, das hast du mir gerade erzählt.« Du hältst dir mit beiden Händen den Kopf, als hättest du Angst, er könnte platzen.
» Habe ich das? Ich habe gesagt, dass sie ihre Tabletten jeden Abend selbst zerstoßen und mit einem Drink runtergespült hat. Aber du konntest natürlich nicht wissen, dass du ihr keine mehr hättest geben dürfen.«
Du starrst mich an, als hättest du eben eine Dosis Gift geschluckt und müsstest erkennen, dass du nichts mehr tun kannst, um dich zu retten. Und dann fängst du an zu jammern und zu wehklagen, wie es Leute in fremden Ländern in den Fernsehnachrichten tun, wenn sie einen Verwandten verloren haben – nicht wie hier, wo wir billige Teddybären und Blumen von der Tankstelle an improvisierten Gedenkstätten niederlegen.
Es tut mir leid, Clara, es tut mir wirklich leid. Ich wollte, dass du verstehst. Aber das tust du nicht. Du hast dich nicht unter Kontrolle. Unter diesen Umständen muss jemand anderes die Sache in die Hand nehmen.
» Keine Sorge«, sage ich. » Ich erzähle niemandem, was du getan hast.«
Du flüchtest weinend aus dem Wohnzimmer, und ich kann deine Schritte nach oben verfolgen. Wahrscheinlich erwartest du, dass ich gehe, aber ich kann dich in diesem Zustand nicht allein lassen, deshalb warte ich, bis es dunkel wird und dein Dad heimkommt. Er fragt mich, ob ich über Nacht bleibe, und ich sage: » Nur wenn’s nicht zu viel Mühe macht.«
» Natürlich nicht«, sagt er. » Clara tut deine Gesellschaft gut. Du bist die Einzige, die versteht, was sie durchmacht.«
Als ich in dein Zimmer schleiche, höre ich dich im Schlaf atmen, also nehme ich einen Pyjama aus der Kommode, schlüpfe hinein und krieche zu dir ins Bett, genau wie immer.
Weißt du, Clara, ich darf dich nicht aus den Augen lassen, nicht jetzt. Niemals mehr.
Eine Woche später: die Feuerbestattung. Inzwischen haben schauerartige starke Regenfälle eingesetzt, aber das Wasser scheint zu verdunsten, bevor es den Erdboden erreicht, und das Gras bleibt braun verdorrt.
Es ist inzwischen September, aber wenn die Sonne einmal hinter den dunklen Wolken hervorkommt, ist es immer noch sofort brütend heiß. Schweißgebadet sitzen wir im Krematorium.
» Sie hat immer gesagt, dass sie verbrannt werden will«, sagt Tante Laura, was eindeutig gelogen ist. Niamh hat ihr Leben lang nie etwas organisiert, und ich weiß bestimmt, dass sie ihre eigene Bestattung nicht geplant hat.
Laura hat die Trauergäste gebeten, kein Schwarz zu tragen, und bis auf ein paar Oldies sind alle ihrer Bitte nachgekommen. Ich trage ein leuchtend grünes Sommerkleid mit auf dem Rücken gekreuzten Trägern und braune Sandalen. Kleid und Sandalen habe ich letzte Woche gekauft, weil ich’s satthabe, mich unter mehreren Lagen Kleidung zu verstecken. Mein neues Ich. Und auf seltsame Weise glaube ich bereits, anders auszusehen, vielleicht hat der Stress der vergangenen Wochen mir geholfen, ein paar Pfund abzunehmen, denn ich kann sehen, dass manche Leute mich
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