Zu gefährlicher Stunde
an.
Warum fühlte ich mich dennoch unter
Druck gesetzt? Und warum brachte ich es nicht über mich, ihn anzurufen?
Angesichts dessen, was in den letzten beiden Tagen passiert war, hätte ich ihn
normalerweise angerufen, nach seiner Meinung gefragt und mich von ihm beruhigen
lassen. Jetzt aber...
Ich starrte aufs Telefon.
Warum wollten Menschen Dinge verändern,
die perfekt funktionierten? Warum wollten sie mehr, wenn weniger völlig
ausreichte?
Das Telefon im Büro summte und rief
mich in die Gegenwart zurück. Ich hob ab.
Ted. »Hier ist ein Mr Todd Baylis für
dich. Er kommt von der Ermittlungsabteilung des Verbraucherministeriums.« Ted
klang irgendwie unheilvoll — und mit gutem Grund.
Was ich befürchtet hatte, war
eingetreten.
»Ms McCone?«, fragte Ted förmlich, als
ich nichts erwiderte.
»Schon gut. Sag Mr Baylis, ich muss
noch etwas erledigen. Du kannst ihn in fünf Minuten hereinschicken.«
Ich brauchte die Zeit, um mich zu
beruhigen und ein professionelles Erscheinungsbild zu bieten.
Todd Baylis war ein stämmiger Mann mit
dichtem blondem Haar, kantigem Kinn und knochenzermalmendem Händedruck. Er nahm
in einem Besuchersessel Platz, wobei mich seine grauen Augen hinter der
chromgefassten Brille musterten. Ich meinte, einen unangenehmen Zug um den Mund
zu entdecken, nahm aber an, dass ich nur auf die Bedrohung reagierte, die sein
Besuch für mich darstellte.
Ich setzte mich hinter den
Schreibtisch, legte seine Visitenkarte vor mich und sagte: »Was kann ich für
Sie tun, Mr Baylis?«
Er stellte die Aktentasche auf den
Tisch, öffnete sie und nahm einige Unterlagen heraus. »Im letzten Monat hat
Ihre Agentur einen Vertrag mit einem Klienten namens Alex Aguilar geschlossen.«
»Das ist richtig. Er beauftragte uns,
mehrere Diebstähle in seinem Ausbildungszentrum im Mission District zu
untersuchen.«
»Wäre das nicht eine Angelegenheit für
die Polizei gewesen?«
»Gewiss, Mr Baylis, aber... ich nehme
an, Sie wohnen in der Gegend von Sacramento?«
Er nickte.
»Kennen Sie sich in San Francisco aus?«
»Nicht sehr gut.«
»Gut, es gibt hier nämlich einige
Probleme, und obwohl ich die Stadt sehr liebe, bin ich die Letzte, die das
verschweigen würde. Bei unserer Polizei herrscht, um es höflich auszudrücken,
seit letztem Herbst ein ziemliches Chaos. Sie leidet unter Personalmangel und
ist völlig überlastet. Daher fangen Agenturen wie meine einen Teil der Fälle
auf.«
»Wem haben Sie die Ermittlungen im Fall
Aguilar übertragen, Ms McCone?«
Das wusste er genau, es stand sicher in
Aguilars Beschwerde. Warum also die Frage?
Wenn ich nicht so zynisch wäre, würde
ich sagen, er will die Fakten überprüfen. Aber ich bin eben zynisch und glaube
daher, dass er meint, er könne sich durch eine aggressive Reaktion Vorteile
verschaffen.
»Julia Rafael hat den Fall bearbeitet.
Sie ist die einzige Mitarbeiterin, die Spanisch spricht. Ich nehme an, Sie sind
wegen einer Beschwerde von Mr Aguilar hier. Und ich nehme weiter an, dass Sie
von Ms Rafaels Verhaftung wissen.«
Nun verstärkte sich der unangenehme Zug
um Baylis’ Mund. Er schürzte die Lippen und enthüllte dabei ungewöhnlich weiße
und ebenmäßige Zähne.
»Das stimmt, Ms McCone. Mr Aguilar hat
Beschwerde bei uns eingelegt — gegen Sie als Arbeitgeberin von Ms Rafael.«
Ein Frösteln überlief mich. Ich
verschränkte die Hände vor mir auf dem Schreibtisch und sagte so kühl wie
möglich: »Ms Rafael hat Mr Aguilars Vorwürfe bestritten. Wegen des Zeitpunkts
der Verhaftung erfahren wir erst heute Nachmittag, ob der Bezirksstaatsanwalt
den Fall weiterverfolgen wird.«
»Wurde sie auf Kaution entlassen?«
»Nein.«
»Und warum nicht?«
»Danach müssen Sie ihren Anwalt fragen.
Glenn Solomon von Solomon & Associates.« Ich gab ihm eine von Glenns
Karten, die ich in einer Dose auf dem Schreibtisch aufbewahrte.
Baylis zog leicht die Augenbrauen hoch.
Glenns guter Ruf war offenbar bis zu ihm vorgedrungen. »Vielleicht können wir
uns treffen, nachdem sie zur Anklage vernommen wurde, damit ich mir ihre Seite
der Geschichte anhören kann.«
»Selbstverständlich. Ich möchte diese
falschen Anschuldigungen ebenso gern aus der Welt schaffen wie Sie.«
»Und vielleicht könnten Sie mir eine
Kopie von Ms Rafaels Ermittlungsbericht zur Verfügung stellen.«
Ich nickte und bat Ted über die
Sprechanlage, die Unterlagen auszudrucken. Als ich aufstand, um Baylis
hinauszuführen, sagte er: »Schon gut, Ms McCone, ich kenne den
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