Zu Grabe
großes Tor und fuhr langsam durch ein traurig-schönes Meer aus Grabsteinen. »Und jetzt?«
»Geradeaus und dann links bis zur Halle 3, dort können wir parken.«
Von der Halle 3 aus waren es nur wenige Meter bis zum Areal der Friedhofsgärtnerei, auf dem, direkt neben einem alten Gewächshaus, die drei grauen Container standen, die nun der Gerichtsmedizin als neues Refugium dienten.
Auf Capelli, die an die modern ausgestattete Gerichtsmedizin in Innsbruck gewöhnt war, wirkte dieses Szenario recht befremdlich. Die sterile, wissenschaftliche Atmosphäre, in der sie normalerweise ihrem Beruf nachging, fehlte völlig. Stattdessen wuchs hier Unkraut neben den Obduktionsräumen, und nur wenige Meter dahinter befanden sich alte, ausgemusterte Grabsteine und Kreuze. Dazu kam das diesige, verregnete Wetter, das der ganzen Szenerie einen unheimlich morbiden Anstrich verlieh. »Wien ist anders«, zitierte Capelli den Werbeslogan der Stadt und öffnete die Tür zum Obduktionscontainer.
»Was für ein Elend«, raunte sie, nachdem sie ihren Blick kurz durch das triste Innere der grauen Stahlbox hatte schweifen lassen. In dem engen, kalten Raum gab es einen Obduktionstisch, ein Regal und ein kleines Waschbecken.
»Je schneller wir anfangen, desto schneller können wir auch wieder von hier verschwinden«, sagte Kern und betrat ebenfalls den Container.
Der Leichentransport war anscheinend schneller als die beiden Gerichtsmediziner gewesen, denn der kopflose Körper lag bereits auf dem Tisch. Kern holte Novaks Kopf aus einem Kühlbehälter und setzte ihn an den Rumpf. »Für jeden Deckel einen Topf, für jeden Körper einen Kopf«, reimte er.
Nina fand das gar nicht lustig. »Die Schnittstellen passen exakt aufeinander. Somit hätten wir die Frage der Identität also schon einmal geklärt.« Sie spürte, wie eine Welle von Schuldgefühlen sie durchfuhr. Um ihr schlechtes Gewissen zu zerstreuen, zog sie sich schnell frische Gummihandschuhe und einen Mundschutz über und griff nach einem kleinen Diktiergerät. »Männliche Leiche, etwa 65 Jahre alt«, begann sie und untersuchte dann systematisch die einzelnen Körperregionen. »Die Totenflecken sind schwach ausgeprägt, die Haut ist weißlich verfärbt, und es gibt Waschhautbildung an den Fingern. Die kriminalistische Einschätzung des Todeszeitpunktes auf die Nacht von Sonntag auf Montag kann ich also bestätigen.« Dann bat sie den Assistenten, den Leichnam auf den Bauch zu drehen, damit sie auch noch den Rücken inspizieren konnte. »Sowohl Kopf als auch Körper weisen auffallend viele Hämatome auf, die durch die Einwirkung stumpfer Gewalt entstanden sind.«
»Wahrscheinlich hat Novak sich mit seinem Mörder einen Kampf geliefert«, spekulierte Kern.
»Der dürfte sehr einseitig ausgefallen sein.« Capelli zeigte auf die Handgelenke des Opfers. »Diese Abschürfungen hier sehen stark nach den Spuren einer Fesselung aus.«
»Und was ist damit?« Kern zeigte auf Novaks Hände. »Sind das denn keine Abwehrverletzungen?«
Capelli schüttelte den Kopf. »Wasserleichen treiben meistens mit herunterhängenden Armen und Beinen im Wasser und stoßen damit an Steine und andere Dinge, die am Grund liegen. Wenn sie aus Fließgewässern gezogen werden, sind solche Treibspuren an den Extremitäten deshalb ganz typisch.«
»Verstehe. Der Täter hat also auf einen gefesselten und somit wehrlosen alten Mann eingeprügelt. Was für ein Schwein.«
Nina Capelli ging nicht darauf ein, sondern machte mit ihrer Untersuchung weiter und öffnete mit einem geübten Schnitt die Bauchhöhle.
»Todesursache ist ein offenes Schädel-Hirn-Trauma, das durch stumpfe Gewalteinwirkung auf den Kopf hervorgerufen wurde. Der Kopf wurde mit einem grobgezackten Werkzeug vom Rumpf getrennt. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um eine einfache, handelsübliche Säge«, diktierte sie, nachdem sie mit der inneren Besichtigung fertig war und sowohl Organ-, Gewebe- und Blutproben als auch Urin und Mageninhalt für weitere Untersuchungen entnommen hatte.
»Da war wohl jemand ganz schön sauer auf den alten Herrn Professor.« Kern streifte seine Handschuhe ab, nachdem er Capelli geholfen hatte, den Leichnam wieder zuzunähen und ihn in einem Kühlfach zu verstauen. »Ich möchte echt gern wissen, was der arme Kerl getan hat, um so ein Ende zu verdienen.«
»Das wüsste ich auch gern.« Capelli ging im Geiste noch einmal den Ablauf der Obduktion durch, um sicherzugehen, dass sie auch ja nichts vergessen
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