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Zu Grabe

Zu Grabe

Titel: Zu Grabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Larcher
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gerade an meiner Dissertation, und Professor Novak war mein Betreuer.«
    »Aha, dann können vielleicht Ssie beide mir bessüglich eines Fotos weiterhelfen.« Verflixt, jetzt hatte er noch nicht mal mehr seine Zunge im Griff. »In Novaks Büro stehen jede Menge Gruppenfotos. Ssoweit ich das beurteilen kann, fehlt eines davon«, fuhr Morell fort, wobei er sich bemühte, einen möglichst großen Abstand zu seinen Gesprächspartnern zu halten, denn seine Fahne musste furchtbar sein. »Sie wissen nicht ssufällig etwas darüber?«
    »Hmmm …« Langthaler überlegte. »Sie meinen sicherlich die Bilder auf dem Schrank. Professor Novak hatte die Angewohnheit, bei jeder seiner Ausgrabungen ein Foto des Teams zu machen – als Andenken sozusagen.« Er grübelte weiter. »Er hat im Laufe seiner Karriere an so vielen Projekten mitgearbeitet, dass man nur schwer herausfinden kann, ob eines davon fehlt und wenn ja, welches.«
    Anna Wondraschek, die noch immer euphorisch strahlte, schob sich eine blonde Locke hinters Ohr. »Wir könnten versuchen, eine Liste mit allen Ausgrabungen, bei denen Novak mitgearbeitet hat, zu erstellen, und sie dann mit den vorhandenen Fotos abgleichen«, schlug sie vor.
    Morell nickte, kramte umständlich zwei Visitenkarten und einen Stift aus seiner Manteltasche und markierte mit zittrigen Fingern seine Handynummer. Sein Kopf brummte, er musste dringend hier raus, bevor ihm noch was Peinliches passierte. »Das ist eine ssehr gute Idee. Machen Ssie bitte diese Liste und rufen Ssie mich an, wenn Ssie sie fertig haben.«
    Die beiden nickten. »Werden wir machen«, sagte Wondraschek. »Ich mache mich gleich an die Arbeit.«

»Es wäre ungerecht gewesen, wenn er zu Grabe getragen würde
    ohne irgendein Zeichen der Männer, die er genarrt und bestohlen hatte.«
    Sir Arthur Conan Doyle, Das Geheimnis der Vier
    Nina Capelli saß noch am Frühstückstisch, als sie durch einen Anruf aus der Gerichtsmedizin aus ihrer Trübsal gerissen wurde. Eine erkältete Sekretärin wollte wissen, ob sie vielleicht schon heute mit der Arbeit anfangen könne, da ein Magen-Darm-Virus die Hälfte der Abteilung außer Gefecht gesetzt hatte.
    Die junge Gerichtsmedizinerin musste nicht lange überlegen. Ein wenig Ablenkung würde ihr sicher guttun. Alles war besser, als daheim zu sitzen und Trübsal zu blasen. »Wissen Sie schon, womit wir es zu tun haben?«, wollte sie wissen. »Unfall? Mord? Unbekannte Todesursache?«
    »Keine Ahnung. Die Polizei hat einen Gerichtsmediziner ans Donauufer bestellt. Ich gehe also von einem Suizid aus. Selbstmörder wählen gerne eine der Donaubrücken als Ausgangspunkt für ihre letzte Reise aus.«
    »Oje, Wasserleiche.«
    »Ja«, stimmte die Sekretärin zu und hustete. »Das könnte unschön werden.«
    »Der Tod ist meistens unschön«, seufzte Capelli. »Könnten Sie mir bitte kurz den Weg erklären?«
    »Natürlich. Ich werde außerdem einen unserer Sektionsassistenten an den Fundort schicken. Er wird Ihnen alles Nötige mitbringen und Sie anschließend zum Zentralfriedhof fahren.«
    »Zum Zentralfriedhof?«
    Die Sekretärin schnäuzte sich. »Der Assistent wird Ihnen alles erklären. Seit keine Obduktionen mehr in der Sensengasse vorgenommen werden dürfen, herrscht leider das absolute Chaos. Danke, dass Sie so kurzfristig einspringen können. Ach, und herzlich willkommen in Wien!«
     
    Mit Hilfe der Wegbeschreibung und eines Stadtplans fuhr Capelli in Richtung Donauufer. Sie schlängelte sich durch den Berufsverkehr am Gürtel und den zähen Verkehr auf der Währinger Straße stadteinwärts, passierte die Votivkirche, die, obwohl sie doch um einiges kleiner war, von vielen Touristen oft mit dem Stephansdom verwechselt wurde, und schaffte es, auf der Ost-Autobahn die richtige Ausfahrt zu erwischen. Anschließend bog sie auf den Handelskai und folgte der Hafenzufahrtsstraße. Nun war es nicht mehr schwer, den Fundort auszumachen: Mehrere Polizeiwagen und eine Horde Schaulustiger waren bereits zur Stelle.
    Capelli parkte ihren Wagen, wies sich aus, stieg über das Absperrband und lief über einen schmalen Trampelpfad die Böschung zum Ufer hinunter.
    Je näher sie der Leiche kam, desto schärfer wurden Capellis Sinne. Sie merkte, wie ihre privaten Probleme zur Seite gedrängt und durch routinierte, professionelle Denkmuster ersetzt wurden. Ihr Gehirn fokussierte auf das Hier und Jetzt und saugte instinktiv jedes noch so kleine Detail in sich auf: das ruhige, gleichmäßige Plätschern des

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