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Zu Grabe

Zu Grabe

Titel: Zu Grabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Larcher
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Lorentz’ Forschungsergebnisse über ein awarisches Gräberfeld gestohlen, als zugeben zu müssen, dass er sich geirrt hatte. Er war eine regelrechte Plage gewesen, aber niemand im Institut hatte einen Grund gehabt, ihn ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt zu ermorden – in wenigen Monaten wäre der Professor nämlich ohnehin in Pension gegangen.
    Morell hatte entschieden, dass es unter diesen Umständen wohl das Vernünftigste war, die Familie des Opfers einmal genau unter die Lupe zu nehmen. Schließlich war es gut möglich, dass der Mörder aus dem Familien- oder Freundeskreis stammte und bewusst die Universität als Tatort gewählt hatte, um die Ermittler auf eine falsche Spur zu führen. Er hatte außerdem noch Lorentz’ Meinung bezüglich Payer, Langthaler und Wondraschek eingeholt. Lorentz hatte kurz überlegt und dann für alle drei eine Unbedenklichkeitserklärung ausgesprochen: Payer war kauzig, aber harmlos, Langthaler war Novak treu ergeben gewesen, und Wondraschek war ein blonder Engel, der keiner Fliege etwas zuleide tun konnte.
    Als die Besuchszeit zu Ende gewesen war, hatte der Chefinspektor auf dem Naschmarkt üppig eingekauft und sich dann mit brummendem Schädel auf den Heimweg gemacht, wo er mitten auf der Straße von einem Platzregen überrascht worden war. So stand er nun klatschnass vor der Tür und fluchte über das Sauwetter. Er hoffte inständig, dass er sich keine Erkältung eingefangen hatte – das hätte ihm gerade noch gefehlt. Wobei – bei dem Pech, das er im Moment hatte, hätte ihn das auch nicht mehr gewundert. Apropos Pech und Dinge, die schiefgehen konnten: Er musste dringend bei Bender anrufen und sich nach der Lage erkundigen.
    Morell grummelte. Ihm war kalt, er war nass bis auf die Knochen, müde und hungrig. Dazu kamen der alltägliche Valerie-Kummer und Heimweh nach Landau. Er würde sich jetzt erst mal eine heiße Dusche gönnen, danach etwas Gutes kochen und sich dann früh ins Bett legen.
    Er nahm gerade die erste Stufe in Richtung Erholung, als die Haustür energisch aufgerissen wurde und ein kleines Persönchen mit einem Trolley im Schlepptau auf der Bildfläche erschien. Das Persönchen schüttelte seinen Schirm aus und versprühte einen nasskalten Schauer durch den gesamten Eingangsbereich. Der Chefinspektor wollte gerade vor dieser Tropfenattacke flüchten, als eine bekannte Stimme ihn zurückrief: »Sind Sie das, Herr Morell?«
    Er hielt inne, drehte sich um und blickte direkt in ein Meer aus Falten und silbergrauem Haar. »Frau Horsky?«, fragte er ungläubig.
    »Ja, ja, ich bin’s.« Die sonst so sauertöpfische Miene der alten Dame wich einem strahlenden Lächeln. Sie trat einen Schritt näher an ihn heran und musterte ihn. »Ich hätte Sie fast nicht mehr wiedererkannt, lassen Sie sich anschauen!«
    Der Chefinspektor wunderte sich insgeheim, dass Agathe Horsky immer noch lebte. Die kleine Frau war schon zu der Zeit, als er noch in Wien gearbeitet hatte, gefühlte 150 Jahre alt gewesen. Das winzige, zerfurchte Leichtgewicht sah mittlerweile aus wie ein Stück Trockenobst. Wahrscheinlich war sie tatsächlich 150 Jahre alt, konnte aber nicht sterben, weil der Hass auf die Welt sie am Leben hielt – Hass war ein völlig unterschätztes Lebenselixier.
    »Ich bin ja so froh, dass Sie zurück sind. Endlich gibt es bei diesem Sauhaufen, der sich Kripo schimpft, wieder einen freundlichen, kompetenten Mitarbeiter. Kommen Sie, ich zeige Ihnen gleich mal den Zettel.«
    »Welchen Zettel?« Morell schwante Schlimmes. Frau Horsky, oder besser gesagt ihr Sohn, war einer seiner Fälle gewesen. Benedikt Horsky, ein wohlhabender Bestattungsunternehmer, war eines Abends einfach nicht mehr nach Hause gekommen. Der Junggeselle, der noch bei seiner Mutter gewohnt hatte, hatte sich weder von irgendjemandem verabschiedet noch irgendetwas mitgenommen. Es war alles da gewesen: Pass, Kreditkarten, Sparbücher, Schlüssel, Handy, Kleidung, das Auto … Morell war sich sicher, dass Benedikt Horsky umgebracht worden war, das sagte ihm sein Bauch, und sein Bauch irrte sich nie. Trotzdem wurde die Angelegenheit bald zu den Akten gelegt. Es gab keine Leiche, kein Motiv, keine Verdächtigen und somit auch keinen Fall. Der Bestattungsunternehmer wurde schlicht und ergreifend als langzeitvermisste Person deklariert. Frau Horsky war an der Ungewissheit und dem Kummer zerbrochen. Sie wollte sich nicht damit abfinden, dass das Verschwinden ihres einzigen Kindes ungeklärt blieb, und war

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