Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zu Grabe

Zu Grabe

Titel: Zu Grabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Larcher
Vom Netzwerk:
hatte den Stein ins Rollen gebracht und damit all das Unheil ausgelöst. Angespannt blätterte er um – er musste unbedingt wissen, wer außer Novak ihn noch betrogen hatte, damit er endlich für Gerechtigkeit sorgen konnte.
    Was Novak anging, so hatte er ihn seiner angemessenen Strafe zugeführt. Er lächelte, als er sich daran erinnerte, wie er Novaks Kopf im Arkadenhof platziert hatte. Für Ruhm und Ehre war Novak über Leichen gegangen. Alles, was er wollte, war, seinen Kopf posthum im Arkadenhof zu wissen. »Und diesen Wunsch habe ich dir erfüllt«, sagte er leise.

»Mir gibt das Grab mehr Sicherheit,
    es schafft mir wenigstens Vergessen.«
    Georg Büchner, Dantons Tod
    Als Morell das Archäologiezentrum verließ, war der heftige Wolkenbruch von vorhin in einen dünnen Sprühregen übergegangen. Diese Form des Niederschlags – so fand zumindest Morell – war die unangenehmste von allen. Sie war kein ehrlicher, geradliniger Schauer und auch kein sanftes, zartes Rieseln, sondern eine Ansammlung kleiner, hinterhältiger Tröpfchen, die so taten, als wären sie gar nicht existent. Heimlich, still und leise schlichen sie in jede noch so kleine Ritze, die sie in der Kleidung fanden, und durchweichten deren Träger bis auf die Knochen. Am allergemeinsten aber war die Tatsache, dass es vor ihnen keinen Schutz gab. Gegen einen anständigen Regenguss konnte man sich mit einem Schirm oder einer Kapuze zur Wehr setzen, aber gegen Nieselregen war kein Kraut gewachsen. Morell versuchte daher erst gar nicht, ihm die Stirn zu bieten. Er machte sich mit verkniffener Miene und hochgezogenen Schultern auf den Weg zu der ersten Adresse, die Bender ihm durchgegeben hatte – der von Wilfried Uhl.
    Uhl betrieb doch keine Strandbar auf Kreta, sondern einen kleinen Laden im ersten Bezirk – und zwar ausgerechnet in der Blutgasse. Wien machte seinem Ruf als eine der morbidesten Städte der Welt wieder einmal alle Ehre.
    Die Blutgasse befand sich in einem geschichtsträchtigen Viertel direkt hinter dem Stephansdom und war trotz ihres grausigen Namens wunderschön. Links und rechts der gepflasterten Straße standen einige der ältesten Häuser Wiens, die originalgetreu und mit viel Liebe zum Detail restauriert worden waren. Was den Namen der Gasse betraf, so gab es zwei Versionen: Die eine erzählte, dass sich im Mittelalter an dieser Stelle Schlachtplätze befunden hatten, eine andere besagte, dass dort im Jahre 1312 eine Gruppe von Templern so grausam ermordet worden sein soll, dass ihr Blut den Boden getränkt habe. Morell behagte weder die eine noch die andere Variante.
    Obwohl die Blutgasse nicht gerade lang war, musste Morell einige Zeit nach dem Laden suchen, da dieser sich in einem versteckten Innenhof befand. ›Wilfried Uhl. Devotionalien und sakrale Artikel‹ stand dort in kleinen, geschwungenen Lettern neben einer unauffälligen Tür. Morell betrachtete die mickrige Auslage, in der geschnitzte Kreuze und ein paar bunte Rosenkränze leise vor sich hin staubten, und überlegte. Als was sollte er sich ausgeben? Als Polizist? Als Bestatter? Als Kunde? Er entschloss sich, sich auf Nachfrage ›privater Ermittler‹ zu nennen – es war am besten, so nahe wie möglich an der Wahrheit zu bleiben.
    Als er die Tür öffnete, ertönte ein lautes Klingeln, auf das aber keine Reaktion folgte. Der Laden war unbeleuchtet und menschenleer, und Morell studierte etwas irritiert die Öffnungszeiten, die neben dem Eingang angeschlagen waren: Mo bis Fr 10:00 bis 12:00 Uhr und 14:00 bis 18:00 Uhr. An und für sich war geöffnet.
    »Hallo?! Herr Uhl?!«, rief er, betrat das Geschäft und hielt nach einigen Schritten staunend inne. So etwas hatte er noch nie gesehen: Dieser Ort war ein römisch-katholischer Supergau, die unheilige Verschmelzung von Lourdes, Mariazell und Santiago di Compostela.
    Morell befand sich in einem muffigen, weihrauchgeschwängerten Meer aus Engeln, Bibeln, Kerzen und Kreuzen. An der rechten Wand hingen ungefähr fünfzig Jesusse in allen nur erdenklichen Größen und Formen, und mindestens genauso viele Marien schauten mit vorwurfsvollen Blicken von einer Stellage hinter ihm herab. Es gab zig deckenhohe Regale, die mit allerlei sakralem Kitsch und groteskem Krempel vollgeräumt waren, und ein riesiger Beichtstuhl nahm mehr als ein Viertel der hinteren Wand in Anspruch. Das wohl Kurioseste und gleichzeitig auch Haarsträubendste in dem Laden war aber der Bereich ganz links. Dort war das Who’s who der

Weitere Kostenlose Bücher