Zu Grabe
des …«, er schielte durch die Scheibe der Auslage auf die Straße, »… des Autodiebstahls. Ich habe beobachtet, wie ein paar halbstarke Jungs ein Auto geklaut haben. Dieser Herr Weber hatte sicher noch Fragen deswegen.«
»Ach so.« Frau Summer schien mit dieser Antwort zufrieden zu sein. »Und wo waren Sie? Ich habe überall nach Ihnen gesucht.«
»Ja … also …« Morell fuhr sich übers Gesicht. »Ich hatte vergessen, meinen Kater zu füttern, und bin darum schnell noch mal nach Hause gefahren. Fred … also mein Kater … ist recht eigen, wenn es um sein Essen geht. Entschuldigen Sie, ich hätte mich abmelden sollen.«
Frau Summer schien ihm die Lüge abzunehmen. »Ach ja, die lieben Kleinen«, sagte sie. »Ich habe selbst drei Katzen und weiß, wie heikel sie sein können. Sobald wir etwas weniger zu tun haben, müssen Sie mir unbedingt von Ihrem Fred erzählen.«
»Gerne.« Morell war froh, dass er sich so gut hatte herausreden können.
»Also dann, machen wir uns wieder an die Arbeit.« Sie klatschte in die Hände. »Hat der Herr Jedler Ihnen die Liste gegeben?«
Morell nickte. »Ich wollte gerade eben mit der Parte anfangen.«
»Glaubt, Graben ist ein adelig Geschäft!
Was Ihr auch Grosses wirkt und Grosses fördert,
Der Euch einst eingräbt, er besiegt doch alles.«
Franz Grillparzer, Weh dem, der lügt!
Er war müde. Müde und ausgelaugt. Die Anspannung, die sich im Laufe der letzten Tage in seinem Körper und seiner Seele breitgemacht hatte, war mittlerweile kaum mehr zu ertragen. Dazu kam, dass die Aussicht auf Gerechtigkeit und Vergeltung ihn um den Schlaf brachte. Wie ein Mondsüchtiger hatte er in den vergangenen Nächten wach gelegen und war nicht zur Ruhe gekommen.
Er atmete tief ein, schloss die Augen und versuchte zu ergründen, ob er bereit war – bereit für die Wahrheit und die damit verbundenen Konsequenzen. »Ja«, sagte er mit zitternder Stimme, griff nach seiner Lesebrille und schlug das Tagebuch auf.
Tell Brak, 15. Mai 1978
Heute Nachmittag habe ich die Ruinen des Augentempels besucht. Von dort aus hat man einen atemberaubenden Blick über die syrische Steppe – eine unendliche Weite, unter der Tausende Mysterien aus vergangenen Zeiten schlummern.
Als ich nach Nordwesten blickte, wo derzeit glücklicherweise keine Ausgrabungen stattfinden, stach mir ganz in der Nähe des Massengrabs eine kleine Erhebung ins Auge, die von den Archäologen bisher noch nicht untersucht worden war. Jede einzelne Faser meines Körpers sagt mir, dass darunter die letzte Ruhestätte des sagenumwobenen Königs Alulim liegt.
Mein Herz macht noch immer so wilde Sprünge, dass ich fürchte, es könnte vor lauter Freude in meiner Brust zerbersten.
Tell Brak, 16. Mai 1978
Eine einzige Hürde steht noch zwischen mir und meinem Triumph, und ich ärgere mich, dass ich sie nicht früher in Betracht gezogen habe: Wie soll ich allein es schaffen, in weniger als fünf Wochen das Grab freizulegen und meinen Fund zu dokumentieren? Noch dazu heimlich und im Verborgenen, damit Harr nicht auf die Idee kommt, dass ihm als Grabungsleiter die Anerkennung für den Fund zusteht. Der Gedanke gefällt mir zwar nicht, aber ich werde mir Hilfe suchen müssen.
Nach reiflicher Überlegung ist meine Wahl auf den Botaniker Friedrich Zuckermann gefallen. Er scheint vertrauenswürdig zu sein und hat – soweit ich das beurteilen kann – kein Interesse an Ruhm und Ehre, sondern nur Augen für seine Pflanzen.
Tell Brak, 17. Mai 1978
Meine Gefühle sind ambivalent, denn ich schwanke zwischen Euphorie und Enttäuschung. Erst schien mein Plan ganz wunderbar zu funktionieren. Es war überhaupt kein Problem, nach Sonnenuntergang wegzuschleichen, da alle Archäologen nach dem anstrengenden und heißen Tag tief und fest in ihren Zelten schliefen. Die Nacht war sternenklar, und der Mond schien so hell, dass nicht einmal eine zusätzliche Beleuchtung nötig war. Zudem lief die Zusammenarbeit mit Zuckermann wie am Schnürchen. Wir schaufelten schnell und effizient und wurden bald für unsere Mühen belohnt. In zirka zwei Metern Tiefe sind wir auf eine wahre Sensation gestoßen: eine riesige Steinplatte, die, wie ich annehme, den Eingang zu einer unterirdischen Grabanlage verschließt.
Es hat uns mehrere Stunden und viel Schweiß gekostet, den kolossalen Felsblock, der ungefähr dreimal drei Meter misst, von jahrtausendealter Erde zu befreien, doch alle Mühen waren schnell vergessen, als er endlich in seiner vollen
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