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Zu Grabe

Zu Grabe

Titel: Zu Grabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Larcher
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ihren Mut zusammengenommen hatte und die beliebten Mädchen fragte, ob sie nicht Teil ihrer Clique werden könne, hatten diese nur gekichert und ihr am nächsten Tag eine Liste mit Mutproben vorgelegt. Wenn sie alle davon erledigte, würden sie sie in ihren Kreis aufnehmen. Capelli hatte die Liste gelesen und resigniert – sie wollte weder eine ganze Schachtel Zigaretten in nur zwanzig Minuten rauchen noch einen Lippenstift stehlen oder den Klassentrottel mit Zunge küssen. Es hatte Monate gedauert, bis die dummen Schnepfen endlich wieder damit aufhörten, sie als Feigling zu titulieren. Wenn diese blöden Kühe sie jetzt nur sehen könnten …
    Capelli hatte eigentlich damit gerechnet, dass der Allmächtige es nicht gerne sah, wenn Leute in die Häuser seiner Angestellten einbrachen, und ihr darum Steine in den Weg legen würde. Deshalb war sie ziemlich überrascht, das Küchenfenster im Erdgeschoss gekippt vorzufinden.
    »Halleluja«, murmelte sie und grinste, denn wie sie heute früh im Internet gelernt hatte, war ein gekipptes Fenster so gut wie ein offenes. Sie blickte sich kurz um, und als sie sicher war, dass niemand sie beobachtete, streckte sie ihren rechten Arm durch den Fensterspalt und legte den Griff um. Fünf Minuten später stand sie in Stimpfls Küche und merkte, dass ihre Kopfhaut vor lauter nervöser Anspannung prickelte. Ihre eigene Courage wurde ihr langsam unheimlich, die Entschlossenheit, mit der sie bisher gehandelt hatte, fing an zu bröckeln, und erste Bedenken schlichen sich ein: Falls Stimpfl tatsächlich ein Killer war, würde er kurzen Prozess mit ihr machen, wenn er sie hier drinnen fand – sie musste also so schnell wie möglich die Schachtel finden und wieder von hier verschwinden!
    Capelli verließ eilig die Küche, öffnete wahllos die nächstliegende Tür und scannte den Raum, bei dem es sich um das Schlafzimmer handelte: ein Schrank aus dunklem Kirschholz, ein schlichtes Bett, ein Nachttischkästchen und ein großes Kreuz, von dem ein ausgemergelter Jesus sie anklagend anstarrte.
    »Ja, ja, ich weiß schon, dass das hier nicht die feine englische Art ist«, flüsterte sie. »Aber immerhin bin ich im Namen der Gerechtigkeit hier.«
    Sie wollte gerade damit beginnen, den Raum zu durchsuchen, als sie ein Geräusch hörte und erstarrte. Raus! Schnell! Weg! Ihr Gehirn konnte keinen klaren Gedanken fassen. Was sollte sie nur tun? Verstecken! Verkriechen! Abtauchen! Panisch ließ sie sich flach auf den Boden fallen und kroch unter das Bett. Wie es schien, hatte Pfarrer Stimpfl keine Haushälterin, denn Capelli fand sich in einem Meer aus Schmutz wieder und musste ein Würgen unterdrücken – es gab anscheinend doch einen Gott, und der bestrafte die kleinen Sünden tatsächlich sofort.
    Der Schöpfer war mit seiner Strafe anscheinend noch nicht fertig, denn Capelli nahm mit Entsetzen wahr, dass die Schlafzimmertüre sich wie in Zeitlupe öffnete. »Nur keine Panik!«, versuchte sie, sich zu beruhigen, während ihr Herz so heftig pochte, dass sie Angst hatte, es würde gleich zerplatzen. So wie es aussah, hatte Stimpfl schon seit Monaten nicht mehr unter das Bett gesehen – warum sollte er das also ausgerechnet heute tun? Sie hielt den Atem an und kriegte beinahe eine Herzattacke, als der Überwurf sich langsam hob und zwei dunkle Augen sie vorwurfsvoll anblickten.
    »O Mann, du hast mich beinahe zu Tode erschreckt«, schimpfte sie, kroch aus dem Staubinferno und hob eine rot getigerte Katze hoch. Morell behauptete immer, dass Leute, die Katzen besaßen, keine schlechten Menschen sein konnten – vielleicht würde sie ihm bald das Gegenteil beweisen können. »Na, du Schlingel, wo hat dein Herrchen die Schachtel versteckt, die er gestern von den Novaks geklaut hat?«, fragte sie und setzte ihre Suche fort.
    Im nächsten Raum standen ein Schreibtisch, ein Aktenschrank und mehrere Bücherregale – das musste Stimpfls Arbeitszimmer sein. In der großen Schreibtischlade lagen verschiedene Ausgaben des Pfarrblatts, ein paar Heiligenbildchen und einige selbstgeschriebene Predigten, aber nicht die gesuchte Schachtel.
    Aus purer Neugier griff Capelli nach einem dicken roten Ordner, der auf dem Schreibtisch stand und mit der Aufschrift »Spendengelder« versehen war. Sie schlug ihn auf, blätterte kurz durch und pfiff dann leise durch die Zähne. Gar nicht übel, wie viel Geld die Leute der Kirche zukommen ließen. Da draußen gab es anscheinend jede Menge Frauen, die versuchten, sich

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