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Zu Grabe

Zu Grabe

Titel: Zu Grabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Larcher
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Undercoveraktion Bescheid wusste, gab es keinen Grund mehr, sich zu verstellen. »Mein Name ist Otto Morell«, sagte er also. »Ich bin Polizist außer Dienst und komme zu Ihnen, weil ein Freund von mir unschuldig im Gefängnis sitzt und ich versuche, den wahren Täter zu finden.«
    Nagy strich mit seinen Fingerspitzen sanft über das Glas des Schaukastens. »Die Spezies Mensch ist böse, hinterhältig und verderbt«, sagte er. »Insekten hingegen handeln nach einfachen, biologischen Mustern. Sie streben nicht nach Ruhm, Geld, Wissen oder Anerkennung. Sie sind simple Wesen, die keine Schuld auf sich laden. Wir Menschen töten unsere Artgenossen aus Neid, Gier, Rache, verschmähter Liebe und oft sogar wegen weitaus geringerer Dinge. Insekten töten nur, um zu überleben.«
    Morell, der nicht genau wusste, was Nagy ihm damit sagen wollte, beschloss, nicht lange herumzufackeln, sondern direkt auf den Punkt zu kommen. »Was können Sie mir über die Expedition nach Syrien erzählen, an der Sie 1978 teilgenommen haben? Hat Novak Sie damals gebeten, ihm heimlich beim Freilegen eines alten Königsgrabs zu helfen?«
    Der Entomologe drehte sich um. »Ich war 78 mit Novak in Syrien«, sagte er. »Aber ich weiß nichts von einem Grab.«
    »Ein Mann wurde grausam ermordet, und ein anderer Mann sitzt deswegen unschuldig im Gefängnis. Wenn es irgendetwas gibt, was Sie darüber wissen, dann müssen Sie es mir erzählen.«
    Nagy setzte sich an seinen Schreibtisch. »Novak und ich kannten uns kaum, warum hätte er also ausgerechnet mich um Hilfe bitten sollen? Und außerdem – wenn es am Tell Brak ein bedeutendes Königsgrab gäbe, dann wäre das doch wohl allgemein bekannt. Wie auch immer – ich weiß weder etwas über ein Grab noch über den Mord. Tut mir leid.«
    Morell versuchte, sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. »Trotzdem vielen Dank«, sagte er und erhob sich.
    »Das da in Ihrem Gesicht ist übrigens kein Insektenstich. Wahrscheinlich sind Sie gegen irgendetwas allergisch – am besten Sie gehen zum Arzt.«
    Morell fasste sich an die Wange. »Kein Stich?«
    Der Entomologe lehnte sich zurück und deutete auf die Glaskästchen an den Wänden. »Allesamt unschuldig«, sagte er mit einem Lächeln auf den Lippen. »Das können Sie gerne auch Frau Felder sagen.«
    Morell ging zur Tür. »Ach ja, bevor ich es vergesse – ich muss Sie leider fragen, was Sie in der Nacht von Sonntag auf Montag gemacht haben.«
    »Na was wohl?! Ich habe geschlafen – so wie jeder normale Mensch.«
    »Allein?«
    Nagy bejahte. »Ich habe mich vor zwanzig Jahren scheiden lassen und seitdem die Nase voll von Frauen. Es reicht, dass ich tagtäglich das nervtötende Gequassel von Frau Felder ertragen muss. Glauben Sie mir – auf Weiber kann man gut verzichten. Das Junggesellenleben bringt, abgesehen davon, dass einem hie und da mal ein Alibi fehlt, nur Vorteile.«
    »Damit haben Sie wahrscheinlich recht.« Morell nickte Nagy zum Abschied zu, verließ den Raum und ging die Stiege hinunter. »Auf Wiederschaun, Frau Felder!«, rief er in Richtung Küche, aus der Töpfeklappern zu hören war, und ging nach draußen, wo gerade ein paar Ameisen munter über die Zufahrt krabbelten. »Haut lieber ab von hier, wenn euch euer Leben lieb ist«, sagte er und entschied, als Nächstes zu Johannes Meinrad zu fahren.
    Vorher wollte er aber noch schnell auf einen Sprung bei Nina vorbeischauen. Erstens musste er sich dringend die Reste von Frau Felders Paste abwaschen – sie half zwar gegen das Jucken, stank aber unerträglich –, und zweitens wollte er, dass sie sich seine Backe ansah. Wenn das Kribbeln und Brennen nämlich kein Insektenstich war, was war es dann?

»… und niemand darf vor seinem Tod und seinem Begräbnis
    glücklich genannt werden.«
    Ovid
    Es war so weit – der entscheidende Eintrag stand bevor. Endlich würde er erfahren, was damals passiert war. Gleich würde er wissen, wer ihn um sein Leben betrogen hatte.
    Sein Puls beschleunigte sich. Jetzt war der Moment gekommen – der Moment der Wahrheit. Er griff erneut nach Novaks Aufzeichnungen und las weiter.
    Tell Brak, 19. Mai 1978
    All meine Hoffnungen, all meine Träume sind dahin, haben sich in Luft aufgelöst, sind gestorben. Alles war umsonst. Und nicht nur das …
    Die Ereignisse der heutigen Nacht sind zu unerträglich und peinvoll, als dass ich sie zu Papier bringen könnte – jedes Wort, jeder Buchstabe ist schmerzhaft und sticht in meine Seele. Ich fühle

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