Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zu Hause in Almanya

Zu Hause in Almanya

Titel: Zu Hause in Almanya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aysegül Acevit
Vom Netzwerk:
hing ihm am Kragen und seine Mütze lag auf dem Boden.
    »Schau mal, Anne , das ist gar nicht der Nikolaus, das ist der Özgür, der wollte nur einen Spaß mit uns machen.« Özgür war der Nachbarsjunge. Mehmet hatte ihn als »Ersatznikolaus« angeheuert, weil er selbst zur Moschee fahren und den Sack wiederholen wollte. »Aber Özgür, Bruder, du solltest doch nicht sofort reingehen«, sagte Mehmet und klopfte dem Jungen auf den Rücken. Etwas traurig war er schon, dass seine Show ins Wasser gefallen war.
    »Was sollte ich denn machen, Abi , es war so kalt vor der Tür«, sagte Özgür und wippte fröhlich mit den Kindern auf dem Schoß herum. Er war erst vor wenigen Monaten aus der Türkei gekommen und hatte natürlich keine Ahnung, was der Nikolaus in Deutschland so treibt.
    Mehmet, der verhinderte Nikolaus, holte nun ohne Kostüm seine Geschenke aus dem Sack und verteilte sie an seine Lieblinge. Spielsachen, Süßigkeiten und ein paar neue warme Kleidungsstücke, die die Kinder bald brauchen würden. Dann machten sie sich noch einen wunderschönen Nikolausabend, und bald wussten alle Kinder in der Nachbarschaft, dass der Nikolaus ein Türke ist und kaputte Sachen verschenkt.

Teil 3

»Endlich seid ihr da«
Wie die Türken nach Deutschland kamen

    Nur die Besten für den Westen
    Die Nachricht hatte sich wie ein Lauffeuer in der ganzen Stadt verbreitet. Jeder, der jung und gesund war und der genug Mut hatte, ein Abenteuer zu erleben, begann zu träumen. In den Straßen, auf den Märkten, in den Kaffeehäusern und Wohnungen redeten die jungen Leute bald nur noch über eines.
    Wenn es wahr wäre, was man sich erzählte, dann könnte man sich bald ein eigenes Auto leisten oder sogar ein Haus für sich und seine Familie. Wenn es wahr wäre, dann würde sich vielleicht sogar das ganze Leben ändern. Nur ein oder zwei Jahre würde es dauern, bis es so weit wäre, bis man so viel Geld verdient hätte, dass man sich seine Träume erfüllen könnte. Warum sonst, sollte man sein Land verlassen? Haus und Hof, Geliebte und Freunde? Warum sonst sollte man das blaue Meer hinter sich lassen und die Gärten der Heimat? Warum sonst sollte man in ein Land reisen, von dem man nichts anderes wusste, als dass es gute Maschinen baute und reich war und das jetzt nur noch eines brauchte: türkische Arbeiter.
    Ein paar Jahre nur würde man sein Bestes geben und käme als reicher und gemachter Mann in seine Stadt zurück oder als reiche Frau, die alle für ihre Tapferkeit bewunderten. Alle, die nicht so abenteuerlustig waren, nicht so tatkräftig und nicht so mutig, würden einem dann Respekt zeigen. Was würde man nicht alles in Kauf nehmen für so ein Leben?
    Tagelang kreisten diese Gedanken in Turguts Kopf herum. Er war einer der ersten, die ihren Antrag auf Beschäftigung in Deutschland stellten. Turgut hatte nichts zu verlieren. Er war der Sohn einer Lehrerin, die einen Bauern geheiratet hatte und mit ihm auf dem Hof lebte, statt ihrem Beruf nachzugehen. Als ältester Sohn der Familie hatte seine Mutter ihn gut erzogen und ihn früh auf die Dorfschule geschickt. Er sollte nicht auf dem Land leben und auf dem Feld arbeiten müssen, sondern ein Stadtmensch werden. Aber in der Stadt gab es wenig Arbeit, selbst wenn man eine gute Schulbildung hatte. So verdiente sich Turgut sein Geld mal als Schreiber des Bürgermeisters, mal als Nachtwächter und mal als Aushilfslehrer in der Dorfschule, und wenn nicht bald etwas passieren würde, dann wollte er auswandern nach Istanbul, so hatte er es sich in den Kopf gesetzt. Doch dann kam alles anders. Denn dann kam der Brief aus Deutschland, der im Teehaus am Marktplatz vorgelesen wurde und der dem Sohn der Lehrerin einen Glanz in die Augen zauberte. Deutschland, das war noch besser als Istanbul, dachte er sich.
    Als er seiner Mutter von seiner Entscheidung erzählte, war sie wenig begeistert. Sie wollte ihren Sohn lieber bei sich haben, als ihn in ein fremdes Land zu schicken. Für sie war er fast noch ein Kind, auch wenn er schon über zwanzig Jahre alt und erwachsen war. Doch der Vater war anderer Ansicht. »Lass den Jungen gehen«, sagte er. »Er soll das Leben in der Welt kennen lernen, er soll ein Mann werden, statt hier herumzuhängen.«
    Nach einigen Wochen kam die Antwort auf Turguts Antrag. Eine Zusage! »Bitte stellen Sie sich in unserem Büro in Istanbul vor«, hieß es in dem Schreiben. Vor Freude hatte Turgut spontan im Teehaus getanzt. »Ich gehe nach Deutschland, aman aman ,

Weitere Kostenlose Bücher