Zu Hause in Almanya
beneidet mich nicht, Freunde!«, hatte er laut gesungen und dann die ganze Nacht mit seinen Freunden gefeiert.
»Vielleicht findest Du dort sogar eine hübsche, blonde Helga«, hatten seine Freunde ihm scherzhaft zugerufen.
»Warum nicht! Die deutschen Frauen werden mich lieben!«, hatte er geprahlt.
»Du wirst uns danach sicher nicht mehr kennen. Du wirst ein reicher Mann sein und wirst bestimmt ein Deutscher werden«, hatten seine Freunde gesagt, und Turgut hatte insgeheim gedacht, dass er den Menschen, die ihn liebten, immer treu bleiben wollte.
Als der Tag der Abreise gekommen war, packte er seine sieben Sachen, verabschiedete sich von seinen Eltern, Freunden und Nachbarn und bat um ihren Segen, dann fuhr er nach Istanbul, um sich bei der Verbindungsstelle des deutschen Arbeitsamtes vorzustellen. Er glaubte, es wären lediglich ein paar Formalitäten, die er erfüllen müsste, und dann würde er fröhlich nach München reisen. Doch es kam anders.
Als Turgut sich in dem deutschen Büro vorstellte, wurden zuerst alle seine Daten aufgenommen, dann musste er sich mit den anderen Bewerbern, die von überall aus der Türkei hergekommen waren, in einen großen Saal setzen und warten. Vor ihrer Abreise mussten sich die jungen Männer, die nun in Deutschland arbeiten sollten, einer Gesundheitsprüfung unterziehen. Nach einer Weile wurden sie in Gruppen in das Untersuchungszimmer hineingerufen, 20 oder 25 von ihnen gleichzeitig. Ein deutscher Arzt und türkische Hilfskräfte sollten die Männer untersuchen. Sie mussten sich splitternackt ausziehen und in langen Reihen aufstellen. Als Turgut das sah, überkam ihn die Entrüstung. Er, der muslimische Bauernsohn, hatte sich noch nie unbekleidet vor anderen Leuten gezeigt, ganz nach den Lehren des heiligen Propheten Mohammed. Wie konnte er sich so erniedrigen und sich vor allen Leuten entblößen? Er schämte sich in Grund und Boden bei dem Gedanken daran und begann zu zweifeln, ob er wirklich die richtige Entscheidung getroffen hatte, ob er wirklich diese Reise unternehmen sollte. Die anderen Männer begannen langsam und schweigend, sich auszuziehen und Turgut wagte kaum den Kopf zu heben. Er blieb angezogen stehen, unschlüssig, was er tun sollte.
»Schäme dich nicht, Bruder, wir sind doch alle gleich. Was willst Du machen, die Deutschen wollen es so!«, sprach ihm einer der Männer gut zu.
»Wenn Du dich nicht untersuchen lässt, kannst du wieder zurück in dein Dorf gehen, du Esel. Zier dich nicht, es fällt uns allen nicht leicht«, sagte ein anderer. Die Gesundheitskontrolleure begannen durch die Reihen der nackten Männer zu gehen und sie zu untersuchen. Auch Turgut zog sich langsam aus und stellte sich in die Reihe. Die Männer mussten den Mund weit öffnen und die Zunge herausstrecken. Ihre Zähne wurden untersucht, die Lungen abgehört, der Körper gemustert. Kranke Arbeiter konnte Deutschland nicht brauchen. Als Turgut an der Reihe war und er endgültig seine Hose ausziehen musste, da wurde ihm mulmig und er war drauf und dran, seine Sachen zu packen und zu gehen.
» Allah kahretsin, Allah kahretsin! Gott verfluche! Warum müssen wir uns erniedrigen lassen, als wären wir Vieh auf einem Markt?!«, schimpfte er vor sich hin und die anderen schauten ihn an.
»Was ist das für ein Land, das uns so demütigen will? Sind wir etwa Sklaven? Allah kahretsin , Gott verfluche!«
Eine türkische Helferin kam und sprach ihm gut zu: »Mach dir keine Sorgen, Bruder, es ist doch nur eine Untersuchung. Die Bestimmungen sind so und wir müssen uns daran halten, sonst kannst du nicht mitgehen!«
Turgut schluckte seinen Zorn so gut es ging herunter, schaute zu Boden, drehte sich zur Seite und zog seine Hose aus. Dann kam der deutsche Arzt und untersuchte ihn, so wie zuvor schon die anderen.
Zähne, Rachen, Augen, Ohren, Herz. Alles in Ordnung. Dann aber: »Zu schwache Knochen. Der bricht uns zusammen, der bleibt hier«, sagte der Arzt und ging zum Nächsten in der Reihe.
Völlig verwundert und ratlos blickte Turgut mit großen Augen auf die Dolmetscherin. » Ne dedi? Was hat er gesagt?«
»Tut mir leid, Bruder, du kannst nicht gehen«, sagte sie.
Wie Lava in einem Vulkan schoss Turgut das Blut in den Kopf.
» Na sýl yani, ne demek? Was soll das heißen, ich bleibe hier?«
»Du bist zu dünn«, flüsterte die Frau ihm zu.
»So ein Blödsinn!«, schimpfte Turgut. »Ich war sogar schon beim Militär. Wenn ich denen gut genug bin, dann muss es den Deutschen doch auch
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