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Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo

Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo

Titel: Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerova
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uferloser Traurigkeit überschwemmte.
    Ich will versuchen, es dir an einem kleinen Beispiel zu erklären, Virginia.
    Das Gebäude der Gesandtschaft stand in einem kleinen Garten mit vielen Rosen. Die blühten in prächtigen Farbendas ganze Jahr hindurch, auch im November und in der Weihnachtszeit. Auf meinem Schreibtisch stand immer ein Glas mit frischen Rosen, in allen anderen Räumlichkeiten des Hauses dufteten sie gleichfalls überschwenglich. Wenn Gäste empfangen wurden, gab es Rosensträuße für die Damen. Allmählich wurde ich dieser nie absterbenden Rosenpracht überdrüssig.
    Meine komplizierte Heimreise ins Nachkriegseuropa führte unter anderem auch über Kanada. Am Tag nach meiner Ankunft in Montreal erblickte ich in einem Park auf einer Rasenfläche einen sonnengelb schimmernden Löwenzahn und ein paar Gänseblümchen – und brach in Tränen aus.
    Aufgezwungenes Exil ist wie ein Fluch. Man lebt in einem Land und wird zugleich mit tausend unsichtbaren Fäden in einem anderen, unerreichbaren festgehalten.
    Als der Krieg zu Ende ging und Hitlerdeutschland besiegt war, wurden die europäischen Emigranten in Mexiko von großer Unruhe erfaßt. Vor allen stand die Frage: Was nun? Zurückkehren in die verwüstete Heimat, in das Nachkriegselend und die Wirrnis der Verhältnisse? Oder in der Fremde bleiben, die für die von ihrem Schicksal hierher verwehten Einwanderer trotz aller Gastlichkeit und Schönheit eine Fremde bleibt? Eine beklemmende Frage. Und doch: Endlich war man wieder einmal an einen Kreuzweg seines Lebens gestellt und konnte über die Richtung, die man einschlagen wollte, selbst entscheiden. Welch eine Gelegenheit!
    Theodor Balk und mir fiel diese Entscheidung nicht schwer. Hatten wir doch all die Jahre des Exils diesem Tag entgegengefiebert. Wir wollten beide so bald wie möglich zurückkehren. Für mich ergab sich allerdings eine neue Schwierigkeit. Mein Mann hatte ganze sechzehn Jahre fern seiner Heimat verbracht, nun konnte er Jugoslawien wiedersehen. Ich war seine Frau und ging mit ihm. Mitbestimmend war dabei vielleicht meine uneingestandene Angst vor dem Wiedersehen mit Prag ohne die Menschen, die fürmich untrennbar zu dieser Stadt gehörten. Überdies, so tröstete ich mich, war es ja von Belgrad nur ein Katzensprung in meine Heimatstadt, und Jugoslawien mit seinem respektgebietenden Partisanenkrieg gegen die Okkupanten schien mir zudem ein anstrebenswertes Ziel zu sein. Außerdem war es phantastisch, im Unterschied zu unseren Freunden, sozusagen gleich nach Europa zurückkehren zu können. Ich zögerte keinen Augenblick und begann zu packen.
    »Grüß Prag von mir«, trug mir Kisch beinahe jeden Tag auf.
    »Aber Egonek, ich fahre doch nach Belgrad.«
    »Weiß ich. Aber guck auf die Landkarte: ein paar Zugstunden und du bist zu Hause, während ich am anderen Ende der Welt hocke. Ohne Geld und ohne eure phantastische Chance.«
    Unsere phantastische Chance war ein jugoslawischer Frachter, der in Montreal vor Anker lag und dessen Kapitän bereit war, uns bei der Heimfahrt nach Jugoslawien mitzunehmen.
    Der kleine Frachter namens Perast erinnerte mich eher an die Ausflugsdampfer auf der Moldau, als der Vorstellung eines Ozeanschiffes nahezukommen. Mein Mann und ich waren die einzigen Passagiere, ich war noch dazu die einzige Frau an Bord. Der Frachter durfte jedoch keine Reisenden befördern, und so mußte uns Kapitän Ante, der uns aus Freundschaft für seinen Landsmann Balk mitnahm, irgendwie in seine Besatzung eingliedern. Bei Doktor Balk gab es keine Probleme: Er wurde als Schiffsarzt registriert. Mit mir, zudem im fünften Monat schwanger, war das beträchtlich schwieriger. Nach einigem Kopfzerbrechen wurde ich als »Hilfsköchin« eingetragen. Ehe man aus Montreal auf das offene Meer gelangt, muß man etwa achtundvierzig Stunden – die kleine Perast konnte das auf keinen Fall schneller schaffen – auf dem St. Lawrence River absolvieren und dabei einen kanadischen Lotsen an Bord haben. Heute, mit all der Computertechnik, ist das wohlschon anders, aber damals im Jahr 1945 und nur wenige Wochen nach Kriegsende war das die einzige Möglichkeit.
    Der Kanadier, der das Schiff sicher durch den mächtigen, vielfach gewundenen Fluß steuerte, war ein älterer, schweigsamer Mann. Er aß natürlich am Tisch des Kapitäns. Und obwohl er kaum etwas sagte, drückte sein Gesicht und die Art, wie er uns während der Mahlzeit musterte, doch recht unverhohlen seine Verblüffung und auch Mißbilligung

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