Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo
umgehen.« Das war wohl nur zu meiner Beruhigung gesagt, denn in diesem Augenblick begannen die ersten gigantischen dunklen Wellen auf uns zuzurollen. Ich wurde angewiesen, in die Kajüte hinunterzusteigen, mich hinzulegen und in liegender Lage zu verharren, bis wir durch den Orkan hindurchgekommen sein würden.
»Aber«, wollte ich einwenden, da fegte jedoch schon der erste Stoß über uns hinweg, das kleine Schiff wurde hochgeschleudert, legte sich auf die Seite, rollte hinab, tanzte in alle Richtungen. Ich tastete mich unter Deck und verkroch mich verängstigt auf mein Lager.
Dort angelangt, schloß ich die Augen, aber da wurde alles noch viel schlimmer. Mein Kopf sauste, doch leider nicht im gleichen Rhythmus wie das hin und her geworfene Schiff. Als ich erneut versuchte mich umzublicken, segelten gerade die Kisten und Bündel und Kartons aus der Mitte der Kajüte unaufhaltsam auf mich zu. Werden sie mich erdrücken? Nein; in derselben Sekunde schob sich das Ganze wieder knarrend und unheimlich zischend in dieentgegengesetzte Richtung zurück. Wie lange der Sturm tobte und der Perast arg zusetzte, kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, daß der Geschenketransport in den verschlungenen Seilen allen Stößen standhielt, immer wieder auf mich zukam, jedesmal jedoch rechtzeitig kehrtmachte, und als sich das Wetter endlich beruhigte, war ich völlig zerrüttet, die Ladung in meiner Reichweite dagegen durchaus in Ordnung.
Nach ungefähr fünf Wochen landete die Perast in Šibenik, nicht wie ursprünglich vorgesehen in Split, weil dort der Hafen noch stark vermint war. Unterwegs hatten wir wiederholt solche gefährlichen Minen in unmittelbarer Nähe des Schiffes im Wasser entdeckt.
Oreste Gnudi hatte uns, wie beabsichtigt, in Brindisi verlassen. Jetzt waren wir an der Reihe, von Kapitän Ante und seinen Männern Abschied zu nehmen. Es gab Umarmungen und beiderseits viele gute Wünsche. »Dobro došli! Willkommen zu Hause!« klang es uns nach. Balk war aufgeregt, ich auch und dazu noch ein bißchen traurig. Willkommen zu Hause ...
Meine ersten Schritte auf dem von jahrelangem Mord und Totschlag befreiten heimatlichen Kontinent. So hochtrabend dachte ich, als ich in Šibenik über die schlammige Landstraße stolperte, die zerfurcht, aufgeweicht und mit kleineren und größeren Felsbrocken bedeckt war. Ein Mann, der im Krieg einen Arm verloren hatte, bot uns in seinem Häuschen Nachtquartier an. Es umfaßte zwei Stuben, in der einen schlief er mit seiner Mutter. Dort fehlte ein Stück Seitenwand. In der anderen, die er uns überließ, funkelten nachts zahllose Sterne auf dem schwarzen Himmel über unseren Köpfen. Eine Bombe hatte einen Teil der Zimmerdecke weggerissen. Ich lag auf dem Rücken, konnte den Blick nicht von dem, wie mir schien, freundlich glitzernden Nachthimmel wenden und versuchte vergeblich, meine Gedanken einzufangen. Das Heimweh war noch nicht vorbei, ich war ja weiterhin in der Fremde, meinem Prag nur wesentlich näher gekommen, und fühlte einenStein im Herzen. Die Vorstellung der Rückkehr in die für mich nun leere, aller Wärme und Vertrautheit beraubte Stadt, ohne Mutter und Geschwister, ohne die kluge und gutherzige Großmama mit ihren einzigartigen Sprüchen – war das noch verlockend? Wollte ich das überhaupt? – Ich wollte es, trotz allem, mit sämtlichen Fasern meines Seins – auch mit all meiner Angst.
Hör mir jetzt gut zu, Virginia, und wende den Kopf nicht weg, wie du das meistens tust, wenn dich jemand freundlich grüßt. Ich weiß nicht, was dich auf diesen Treppenabsatz verstoßen hat, Unrecht, Not oder etwa deine Verachtung für ein geläufiges menschliches Dasein. Ich will dir nicht das Herz schwermachen, will dir nur sagen, was einem das Leben bringen und daß es mitunter sehr schlimm und dann wieder ganz leidlich, ja sogar schön sein kann.
Fünf Wochen waren wir von Kanada nach Jugoslawien unterwegs. Eine Woche dauerte unsere Reise aus Šibenik an der adriatischen Küste in die Hauptstadt Belgrad. Als wir dort endlich ankamen und im Vorort Zemun den Zug verließen, weil die Brücke über den Sava-Fluß noch zerstört war und die provisorische Pontonbrücke keine Eisenbahn tragen konnte, bot sich mir ein sonderbares Bild.
Vor dem kleinen Stationsgebäude saß ein Häuflein serbischer Bauern auf merkwürdigen länglichen Metallbehältern. Die Männer plauderten miteinander, manche aßen Brot und schnitten mit ihren Messern dünne Speckscheiben darauf.
»Worauf sitzen diese
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