Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo
Leute?« frage ich den jungen Fuhrmann, der sich erboten hatte, uns mit seinem Leiterwagen ans andere Ufer, nach Belgrad, zu befördern.
»Auf Särgen«, sagte er sachlich, und als er mein bestürztes Gesicht sah, fügte er hinzu: »Sie haben die Gebeine ihrer Söhne, Väter oder Brüder in den Partisanenwäldern gesucht, um sie in serbischer Erde begraben zu können. Sie hoffen, sie auch gefunden zu haben, was nicht immer wahrsein muß. Jetzt warten sie auf eine Zugverbindung, um mit ihnen nach Hause zu fahren.«
Jugoslawien, dachte ich erschrocken, Belgrad, hier werde ich jetzt wohnen.
Wir ließen unseren Leiterwagen vor dem ersten Hotel anhalten, das sich uns in der Stadt zeigte, und bekamen zu unserer Erleichterung sogar ein Zimmer. Dabei fiel mir auf, daß durch fast alle Fenster des Hauses Ofenrohre nach außen durchgesteckt waren. Das Zimmer, das man uns zuteilte, hatte allerdings ein unversehrtes Fenster und keinerlei Heizung. Bald stellten wir fest, daß wir die einzigen zivilen Bewohner des Etablissements waren, alle anderen waren Offiziere der Roten Armee. Sie hatten ihre eigene, etwas ungewöhnliche Beheizung, eine eigene Holzzufuhr und somit auch warme Zimmer. Es war Ende Oktober, und wir froren gehörig im von eisigen Winden durchwehten Belgrad, besonders nach unserem mehrjährigen Aufenthalt im sonnigen Mexiko. Balk saß in seinem Flanellpyjama im Bett, den Wintermantel über den Rücken gestülpt, auf den Knien die Portable-Schreibmaschine, und tippte nach sechzehnjährigem Exil seine ersten literarischen Beiträge in serbischer Sprache. Ich lag im Bett und schimpfte: Den Herren Offizieren schien es entgangen zu sein, daß in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft zwei Menschen, davon eine schwangere Frau, vor Kälte mit den Zähnen klapperten. Ein Öfchen und ein paar Scheite Holz hätten sie uns zweifellos ohne Mühe überlassen können. Aber sie waren hier die Herren und übersahen geflissentlich die beiden zivilen Personen von nebenan. Damals wußte ich noch nicht, daß so etwas nun zu meinem Leben gehören würde.
Nach ein paar weiteren Wochen – ich arbeitete bereits im Belgrader Rundfunk, mein Mann im serbischen Filmbetrieb – wurde uns endlich eine Unterkunft zugeteilt. Sie bestand aus einem Zimmer in Untermiete in einer großen Wohnung, in der wir die Küche überhaupt nicht und das Badezimmer nur einmal am Tag benützen durften. Dennoch fiel uns, vor allem mir, ein Stein vom Herzen, denndemnächst sollte mein Kind auf die Welt kommen. Ein Freund Balks, wie er Arzt und Spanienkämpfer und nunmehr Chef des Sanitätsdienstes der jugoslawischen Armee, ließ uns aus seinem Spitalvorrat zwei Betten, einen Tisch und zwei Stühle zuteilen. Als ich zaghaft von der Notwendigkeit eines Wickeltisches murmelte, kam noch ein Tischchen hinzu. Auf einer Kiste, der wir einige unserer Bücher entnommen hatten, bauten wir unseren elektrischen Kocher auf. Wenn ich durch die zerbombte Stadt ging, hatte ich das Gefühl, ganz anständig untergebracht zu sein.
Und dann wurde meine Tochter geboren. Die Babyausstattung hatte ich aus Mexiko und Kanada mitgebracht, das meiste war allerdings unterwegs verlorengegangen. In einem Land, in dem es gar nichts gab, war das nicht allzu verwunderlich. Aber jetzt merkte ich, daß allerhand, das wir dringend brauchten, fehlte. Zudem erforderten unsere Wohnverhältnisse, daß wir in unserem Zimmer auch Windeln waschen und trocknen mußten. Das bereitete mir beträchtliche Sorgen. Bis ich eines Tages auf der Straße eine tolle Entdeckung machte.
Die Schaufenster der nicht sehr zahlreichen erneut in Betrieb genommenen Läden im Belgrad am Anfang des Jahres 1946 waren meistens leer, stellten statt Waren Porträts von Marschall Tito oder Plakate aus, etwa mit der Parole »Terst je naš! Triest gehört uns!« Damit konnte ich freilich meine Babyausstattung nicht ergänzen.
Auf den Märkten war immerhin allerhand zu haben. Jemand verkaufte ein Paar getragener, aber noch durchaus tragbarer Schuhe, ein anderer bot einzelne Stücke Tongeschirr an, ein Junge hielt den Vorübergehenden Reisigbesen unter die Nase, ein alter Mann ... bei dem blieb ich stehen. Der hatte verschiedenartiges Holzgerät vor sich auf dem Pflaster ausgebreitet, darunter eine kleine Scheibe, an der etliche flache Stäbe festgemacht waren. Mit einem bestimmten Griff konnte man diese Stäbe fächerförmig ausbreiten.
»Zum Wäschetrocknen, drugarica«, erklärte mir derAlte, als er meinen fragenden Blick auffing.
Weitere Kostenlose Bücher