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Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo

Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo

Titel: Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerova
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Aber ihre Ränder säumten zwei Reihen stattlicher, duftender Mimosenbäume. So etwas sah ich zum erstenmal. Balks Zimmer war in keinerlei Weise einladend, besaß nur ein kleines Fenster, das auf das Dach davor führte. Ich blickte beiläufig hinaus und sah einen Käfig mit offenstehendem Türchen, vor ihm auf einer kurzen Stange saß ein ziemlich großer Papagei mit prächtigem blaugelbem Gefieder.
    »Ist der immer hier? Das ist ja ein toller Vogel«, rief ich begeistert aus. In dem Augenblick öffnete der tolle Vogel seinen kräftigen Schnabel und rief kreischend:
    »Cómo te va, hombre?« Wie geht es dir, Mann? Rief es einmal, zweimal, pausenlos. »Cómo te va, hombre?«
    »Macht er das oft?« fragte ich ein wenig verunsichert.
    »Ja«, gab Balk kleinlaut zu, »den ganzen Tag. Einmal wäre ich beinahe zum Mörder geworden, hätte ihn am liebsten vom Dach gestoßen.«
    »Und hier soll ich einziehen?« Ich schüttelte nur den Kopf.
    Von Heirat war vorerst keine Rede.
    Aber dann kam meine Anstellung, und ich erhielt ein Gehalt. Wir konnten eine richtige Wohnung suchen.
    Diese Aufgabe fiel Balk zu, denn einerseits verbrachte ich meine Tage auf der Gesandtschaft, während er zu Hause arbeitete und frei über seine Zeit verfügen konnte. Andererseits war bei ihm auch noch ein Tick im Spiel: Er war ungewöhnlich geräuschempfindlich, und deshalb überließ ich es ihm, eine Wohnung in tunlichst ruhiger Umgebung zu finden. Bald meldete er mir voller Freude, er habe »das Richtige« entdeckt. Wir gaben unsere beiden Dachzimmer auf und hielten Einzug in unserer ersten gemeinsamen Wohnung. Nach kaum einem Monat stellte sich leider heraus,daß es doch nicht »das Richtige« war, als in die bis dahin verhältnismäßig ruhige Straße zwei Buslinien verlegt wurden.
    Die Busse in der mexikanischen Hauptstadt, in den vierziger Jahren das einzige öffentliche Verkehrsmittel, waren ganz besonderer Art. Sie bewegten sich in einem losen Transportnetz, man konnte sie beinahe an jeder Straßenecke mit erhobener Hand anhalten und gemütlich einsteigen. Zumeist waren es verdienstvolle Veteranen, die einen aufnahmen, mit verschlissenen, oft nur mit Stricken notdürftig zusammengehaltenen Sitzen; die meisten Busse schepperten gewaltig, schaukelten wie Kamele in der Wüste, und ihr Motor schnaubte, ächzte, knatterte und erschreckte die Umgebung mitunter mit einem gewaltigen die Luft verpestenden Knall. Häufig stiegen ziehende Sänger zu, einer klimperte auf der Gitarre, ein zweiter sang eine der gerade beliebtesten Schnulzen. Immer fanden sich Fahrgäste, die mitsummten oder auch mitgrölten, und man hatte Mühe, sich mit dem Ruf: »Esquina!« (Ecke), das hieß, man wollte an der nächsten Straßenecke aussteigen, Gehör zu verschaffen. Wenn es gelang, machte der Bus auch wirklich an der nächsten Ecke halt, wartete, bis man ihn verlassen hatte und rasselte dann fröhlich weiter. Zwei solche Linien zogen eines Tages durch unsere Straße, und wir zogen daraufhin aus.
    Unser nächstes Zuhause befand sich in der Avenida Industria, in der zufällig auch Anna Seghers mit ihrer Familie ein kleines Haus bewohnte. Wir mieteten eine Wohnung mit einem größeren und einem kleineren Zimmer, die nicht besonders schön, jedoch ruhig war und dazu den Vorteil hatte, nicht weit von meiner Gesandtschaft zu liegen. Warum die Avenida gerade Industria hieß, haben wir nicht herausgefunden (was den Reporter Theodor Balk beunruhigte und seinen Freund Egon Erwin Kisch zu ständigen Witzeleien anregte). Es gab hier nicht einmal einen Laden, geschweige denn irgendeine Industrie.
    Eines Abends gingen wir von einer Veranstaltung desHeinrich-Heine-Klubs oder aus dem Kino, das tut nichts zur Sache, in später Stunde heim. Da merkte ich, daß uns jemand folgte. Als ich mich brüsk umwandte, sah ich zwei Jungen, der eine konnte etwa vierzehn, der andere knapp zwölf Jahre alt sein, beide waren Indios, barfüßig und in zerlumpter Kleidung.
    »Was gibt es?« fragte ich.
    »Nichts«, sagte der größere.
    Wir setzten unseren Weg fort, die beiden folgten. Vor dem Haus sagte Balk: »Da, nehmt ein paar Pesos und gute Nacht.«
    Die beiden nahmen das Geld und rührten sich nicht von der Stelle. Auch wir blieben mit dem Schlüssel im Schloß der Haustür unschlüssig stehen.
    »Wo seid ihr zu Hause?« fragte ich. Wahrscheinlich eine müßige Frage. Der größere schüttelte auch nur den Kopf, der jüngere zog eine Grimasse und ballte seine kleine Faust.
    »Wir können sie nicht

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