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Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo

Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo

Titel: Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerova
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Mexiko und der tschechoslowakischen Exilregierung in London in der erneuerten Gesandtschaft angestellt wurde. Das war für mich ein doppelter Glücksfall. Arbeitsbewilligung hatten zwar alleeuropäischen Flüchtlinge in Mexiko – damit zeichnete sich seine Regierung gegenüber vielen Ländern aus –, aber Arbeitsmöglichkeiten waren für diese Menschen selten und schwieriger zu gewinnen. Nur die größte Gruppe der Emigranten, die mehrere tausend republikanischen Spanier, war nicht von der Sprachbarriere betroffen. Dagegen mußten die Deutschen, die Ungarn, die Polen und vielen anderen erst einmal Spanisch lernen. Doch selbst wenn sie imstande waren, sich mit Müh und Not zu verständigen, konnten sie in dem fremdartigen Milieu kaum eine Anstellung finden, es sei denn im Rahmen der politischen und kulturellen Emigrationsaktivität, die hier, wiederum dank der Großzügigkeit des Gastlandes, außerordentlich breit war und immerhin eine Reihe von Menschen beschäftigen konnte.
    Bei diesen Exilproblemen ergaben sich auch einige interessante Ausnahmefälle. So besann sich ein deutscher Exulant, der sich seit Jahren ausschließlich der Politik und antifaschistischen Tätigkeit gewidmet hatte, nun darauf, daß er von Beruf etwas ganz anderes, nämlich Tischler, war. Er begann, Liegestätten zu bauen, die er selbstbewußt als Couch anbot. Sie waren aus Holz, statt Sprungfedern oder anderem elastischen Material versah sie der Meister mit einer Art Gitter aus Holzleisten. Es gelang ihm auch, ein paar Stück zu verkaufen. Als dann einige seiner Kunden über Rückenschmerzen und die Härte ihres Lagers klagten, versicherte ihnen der Tischler mit beachtenswerter Überzeugungskraft, diese Härte sei eine gesundheitliche Vorkehrung, kräftige die Muskeln, unterstütze die Wirbelsäule und übe auch einen heilsamen Einfluß auf das Nervensystem aus, kurz, seine Couch stelle eine neue, noch ungenügend bekannte Erfindung dar. Sie sollten froh sein, erklärte er kühn, bereits die Anwendung dieser neuen Methode genießen zu können. Und so räkelten sich seine Abnehmer geduldig, sogar beinahe überzeugt, weiterhin auf den knarrenden Holzlagern und betrachteten eventuell auftauchende blaue Flecken als bedauerliche Nebenerscheinung ihrer Festigungskur.
    All das kannte ich nur vom Hörensagen. Ich hatte wieder einmal Glück, bekam eine solide Anstellung mit einem zwar den Umständen angemessenen sehr bescheidenen, aber immerhin festen Gehalt. Entscheidend und mehr als nur willkommen war dabei für mich die Tatsache, daß ich eine Beschäftigung hatte, die zwar nur lose, aber dennoch mit dem Kriegsgeschehen, mit dem Kampf meiner unerreichbaren Heimat, mit Prag, in Zusammenhang stand, daß ich am anderen Ende der Welt mein winziges bißchen dazu beitragen konnte.
    »Eines Tages wird man in der Melantrichgasse staunen«, bemerkte Kisch zufrieden und ein wenig väterlich stolz, »daß aus der Mansardenbewohnerin in Nr. 7 eine Diplomatin geworden ist.«
    »Beinahe eine Diplomatin«, korrigierte ich ihn, »das ist schon gut genug.«
    Das also war die eine entscheidende Änderung. Die zweite war rein persönlich. Als die »Serpa Pinto« in der mexikanischen Stadt Veracruz anlegte und ich nach der langen Fahrt ein bißchen unsicher in dem fremden Land von Bord ging, stand im Hafen neben Gisl Kisch ein Mann, mit dem ich mich schon in Prag angefreundet hatte. Er war von dort aus nach Spanien gegangen, Arzt der französischen internationalen Brigade La Marseillaise geworden, bis zum bitteren Ende an seiten der spanischen Republik geblieben und wurde dann von den Franzosen im Lager Le Vernet interniert. Wir hatten, soweit es möglich war, die ganze Zeit in Verbindung gestanden, aber eben nur in brieflicher und gelegentlich. Schon während meiner ersten mexikanischen Stunden stand fest, daß das nun anders werden sollte.
    »Mein Dachzimmer ist größer als das deinige«, sagte der jugoslawische Arzt und deutschsprachige Schriftsteller Theodor Balk, um den es hier ging, nicht sehr lange nach meiner Ankunft in der Hauptstadt, »komm es dir anschauen, ich glaube, wir hätten dort beide Platz.«
    War das etwa ein Heiratsantrag? Den hätte ich mir allerdings ein bißchen anders vorgestellt. Und so beschloß ich,dem nicht gerade stürmischen Angebot erst einmal nachzugehen.
    Die Straße, in die mich Balk in dieser Weise einlud, hieß Aguascalientes, warme Wasser. Von Wasser war dort allerdings keine Rede, die Aguascalientes war verstaubt und trocken.

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