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Zu keinem ein Wort

Titel: Zu keinem ein Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz van Dijk
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zu Unterstützung von ihrem Sohn bekam, der in Amerika lebte. Ein zweiter Sohn lebte zwar in Amsterdam, hatte aber eine Christin geheiratet, was Tante Meta sichtlich bedrückte.
    Â»Bestimmt habt ihr Hunger, was? In eurem Alter hatte ich immer Hunger!« Dann schaute sie einen Moment an ihrem voluminösen Körper hinab und meinte trocken: »Na, das scheint keine Altersfrage zu sein. Ich würde heute auch am liebsten immer nur essen...«
    Sie servierte uns leckeren Sandkuchen und fragte dann nach Mutter und Frankfurt. Und sie wollte wissen, wann Jutta und ich Geburtstag haben: »Dann müsst ihr hierher kommen. Wenn ich euch schon nicht aufnehmen kann, will ich wenigstens eure Geburtstage mit euch feiern!«

    Tatsächlich vergaß sie niemals Juttas oder meinen Geburtstag. Dann warteten immer viele Süßigkeiten auf ihrem kleinen runden Tisch auf uns. Leider litt Tante Meta schwer an Diabetes und musste regelmäßig Spritzen bekommen. Manchmal war sie so krank, dass wir sie nicht besuchen durften.
    Â 
    Durch Tante Meta wurde unser Leben in Amsterdam schöner. Trotzdem blieb ich nach außen meist ernst und verschlossen. Das änderte sich erst, als ich neben Rosa noch eine andere Freundin im Waisenhaus fand. Eines Tages kam ›die Neue‹ zu uns - und machte alles ganz anders als ich. Sie hieß Suzy. Ihr Vater war gerade gestorben, aber sie ließ sich nichts anmerken von ihrem Kummer. Mit ihr begann ich, Amsterdam wirklich kennen zu lernen. An den ›freien‹ Samstagen erwarteten die Erzieherinnen von uns, dass wir den ganzen Tag wegblieben, damit sie ihre Ruhe hatten. Natürlich konnten wir nicht jeden Samstag zu Tante Meta. Oft bekamen wir alle Freikarten für den Zoo. Da konnten wir dann stundenlang herumlaufen. Jutta ging immer gern in den Zoo. Ich erst, als Suzy mit dabei war. Besonders hatten es uns die Affen angetan. Ein riesiger Orang-Utan hieß Sultan.
    Â»Wenn wir den ins Heim mitnehmen könnten!«, rief ich.
    Â»Gute Idee.« Suzy lachte. »Aber natürlich nur, wenn er anständig gekleidet ist.«
    Â»Mit langen Strümpfen?«
    Â»Mit langen, schwarzen, wollenen Strümpfen!«
    Sultan popelte in der Nase, während wir seine Kleiderordnung
diskutierten. Dann drehte er uns den Rücken zu.
    Â»Recht hat er«, meinte Suzy. »Wir sollten uns auch nicht alles gefallen lassen.«
    Obwohl Suzy auch Deutsch konnte, lernte ich mit ihr endlich auch einigermaßen Niederländisch zu sprechen, im Zoo bei Sultan und den anderen Affen.
    Â 
    Die Direktorin hatte ich eine Weile nur aus der Ferne gesehen. Ich suchte auch keineswegs ihre Nähe. Manchmal mussten Mädchen zu ihr ins Büro kommen, wenn sie etwas angestellt hatten. Eines Tages war ich an der Reihe. Ich war sicher, dass ich mein Bett nicht korrekt gemacht oder die Mütze nicht richtig getragen hatte. Als ich in ihr Zimmer trat, war sie nicht allein, sondern Frau Vromen vom Vorstand des Waisenhauses war bei ihr. Frau Vromen war viel jünger als Juffrouw Frank und wesentlich moderner gekleidet. Zu meiner Überraschung waren beide ganz freundlich und fragten: »Cilly, du bist zu alt, um hier noch zur Schule zu gehen. Gibt es einen Beruf, den du gern lernen möchtest?«
    Ich war überrascht. Meinten sie das wirklich ernst? Noch nie war ich hier nach meiner Meinung gefragt worden. Einen Moment überlegte ich, um bloß nichts Falsches zu sagen. Ich erinnerte mich, wie gern ich früher immer zugehört hatte, wenn Tante Ella uns am Klavier ihre englischen Lieder vorspielte. Meine Mutter hatte bei so einer Gelegenheit gesagt: »Du musst später auch mal Klavier spielen lernen.« Sie wusste sogar schon einen Klavierlehrer für mich. Aber dazu war es dann nicht mehr gekommen.

    Â»Weißt du nichts?«, fragte Frau Vromen freundlich nach.
    Â»Doch!«, stieß ich hervor und setzte alles auf eine Karte: »Ich würde am liebsten Musikerin werden!«
    Die beiden Frauen sahen sich einen Moment ernst an. Was würden sie antworten? Die Direktorin räusperte sich und sagte dann: »Cilly, ich verstehe deinen Wunsch. Musik ist etwas so Schönes...« Dann machte sie eine lange Pause. Beide atmeten tief durch, als würden sie einen Seufzer unterdrücken. Frau Vromen fuhr fort: »Die Zeiten sind leider nicht so. Musik ist etwas für gute Zeiten. Du solltest lieber etwas Praktisches lernen. Etwas, womit du dich im Leben

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