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Zu keinem ein Wort

Titel: Zu keinem ein Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz van Dijk
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Meinung äußerte. Das stimmte. Auch mir
begann es auf die Nerven zu gehen, dass Lena alles, was ich tat, wunderbar fand und einfach verrückt nach mir war. Ich ging noch ein paar Mal mit zu ihr nach Hause, aber mehr weil ich es mir vorgenommen hatte und sie nicht im Stich lassen wollte.
    Â 
    Als die Deutschen mit dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 den Zweiten Weltkrieg begannen, machte ich mir nicht viele Gedanken darüber. Es war nicht mein Krieg. Ich betete weiter, dass Mutter, Hanna und Jossel endlich nach Palästina würden ausreisen können - und Jutta und ich bald hinterher. In den Niederlanden wähnten sich die meisten Menschen, Juden wie Nichtjuden, einfach sicher. Die Holländer hatten sich wie im Ersten Weltkrieg neutral verhalten. Der beste Schutz gegen aggressive Großmächte. So dachten die meisten Erwachsenen. Bis es am 10. Mai 1940, morgens gegen vier Uhr, ein böses Erwachen gab, das sich mit dröhnenden Flugzeugen ankündigte, die immer näher kamen.

ERWACHSEN SEIN
    Noch ganz früh war es an jenem 10. Mai 1940. Das erste Licht des Tages glomm über den Dächern. Wach wurden wir dadurch, dass wir Leute draußen aufgeregt miteinander reden hörten. Normalerweise war um diese Uhrzeit noch kein Hund unterwegs. Durch die geschlossenen Milchglasscheiben vor unserem Schlafsaal konnte man nicht nach draußen sehen. Wir richteten uns in den Betten auf und schauten einander verschlafen an.
    Â»Was ist los?«, rief Lena und sprang als Erste aus dem Bett. Rosa war einen Moment später am Fenster und schob die schweren Rahmen nach oben, um hinaussehen zu können. Nun hörten wir die Stimmen der Nachbarn deutlicher, die sich aus den Fenstern beugten und in den klaren Himmel schauten.
    Â»Ja, Fallschirmspringer sind auch dabei«, rief eine Nachbarin etwa auf unserer Höhe. »Sie kommen mit Flugzeugen und Fallschirmspringern!«
    Schon vernahmen wir das erste Brummen, das sich langsam zu einem Dröhnen steigerte. Es kam aus der Luft, hoch über uns. Es kam näher, immer näher, und bald konnte man kleine dunkle Punkte am Himmel erkennen, die sich langsam auf Amsterdam zubewegten.
    Â»Flugzeuge mit Bomben!«, schrie Suzy, während einige auf den Flur liefen, um zu erfahren, was die anderen im Heim schon wussten. Als Erste kam uns die strenge Juffrouw Roet im Nachthemd entgegen, über das sie eine Wolljacke geworfen hatte. Ihre lockigen Haare standen in alle Richtungen, sodass ich sie beinah nicht erkannt hätte. Noch nie hatte ich sie so aufgeregt gesehen. »Alle nach unten!«, rief sie. »Sofort alle Kinder in die unteren Räume!«
    Dann lief sie selbst zu den Kleinen, um mitzuhelfen, sie aus den Bettchen zu holen. Inzwischen war das Dröhnen der Flieger ziemlich genau über uns. Sie donnerten aber zum Glück vorerst über die Stadt hinweg, weiter nach Westen. Auch wir Älteren halfen mit, alles nach unten zu schleppen. Als endlich alle Mädchen in den Räumen des untersten Stockwerks versammelt waren, wurde der Fluglärm langsam weniger. »Die kommen aus dem Osten, das sind deutsche Bombenflugzeuge!«, sagte Rosa. Niemand widersprach ihr.
    Â»Die Deutschen machen Krieg mit Holland. Aber warum denn?«, wollte Suzy wissen. Einige Blicke richteten sich auf Juffrouw Roet. Erst jetzt merkte ich, dass sie zitterte. Die strenge Frau Roet zitterte und presste nur beide Lippen aufeinander. Nach einer Weile stieß sie so leise hervor, als sollte es niemand hören: »Das ist ein Überfall! Ein heimtückischer Überfall! Der Hitler ist verrückt geworden!«
    Ich weiß nicht, wie lange wir stumm beieinander saßen. Von draußen hörte man die Vögel unbeschwert singen. Es versprach, ein warmer Tag zu werden. Mir rasten gleichzeitig die wildesten Befürchtungen durch
den Kopf: Würden die niederländischen Soldaten ihr Land gegen die Deutschen verteidigen können? Aber die waren doch gar nicht vorbereitet? Würde die Königin uns jüdischen Kindern noch einmal helfen zu entkommen? Aber wohin? Wenn wir jetzt nicht sofort nach Palästina aufbrächen, wäre es vielleicht für immer zu spät.
    Ich schüttelte den Kopf und sah mich im Zimmer um. Einige der jüngeren Mädchen waren inzwischen wieder eingeschlafen. Ich erhob mich mit steifen Gliedern und flüsterte Suzy und Rosa zu: »Wir müssen abhauen, bevor es hier auch so wird wie in

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