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Zu keinem ein Wort

Titel: Zu keinem ein Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz van Dijk
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Kälte mitgekommen seid.«
    Â»Morgen früh in der Crèche musst du alles genau erzählen«, sagte Lilly zum Abschied. Dann umarmten wir uns alle noch einmal und ich stieg allein die Treppen nach oben.
    Dort stand noch immer der Junge, von dem ich erst dachte, das er zur Familie gehören müsse.
    Â» Goedenavond« , grüßte ich ihn auf Holländisch.
    Â»Hallo!«, antwortete er auf Deutsch. »Ich bin Jakov aus Wien und hier auch nur zu Gast. Bist du Cilly?«
    Mein Kommen war offensichtlich angekündigt worden. Jakov trug seine dichten, dunkelblonden Haare gescheitelt und zurückgekämmt. Er musterte mich aufmerksam. Offensichtlich gefiel ihm, was er sah. Er gab mir die Hand und meinte verschwörerisch: »Endlich Verstärkung! Der Granaat ist ein kleiner Tyrann, da müssen wir zusammenhalten.«
    Â»Wie alt bis du denn, Jakov?«
    Â»Beinah sechzehn«, antwortete er und richtete sich auf, wie um sich etwas größer zu machen. Ich war schon siebzehn, aber weil er nicht fragte, sagte ich es nicht.
    Dann rief jemand von drinnen und wir gingen zusammen ins Wohnzimmer, wo die ganze Familie noch zusammen beim Abendessen saß. Ich musste jedem die Hand geben, erst Herrn Granaat, Mitte Dreißig, ein ehemaliger Buchhalter, der jetzt eine Umschulung als Mechaniker machte - »ein richtiger Beruf, so was braucht man in Palästina«, meinte er -, dann seiner Frau, die
ein Baby auf dem Arm hielt, und schließlich Oma Granaat, die ein paar Äpfel schälte. Außer mir waren vom Flüchtlingskomitee des Jüdischen Rats noch drei andere Kinder hierher geschickt worden: ein etwa dreijähriges Mädchen, das kein Wort sagte, dann Jakov und außerdem Klara, die etwas jünger als ich schien und mit der ich ein Zimmer im zweiten Stock teilen sollte. Für die Flüchtlingskinder und nun auch für mich bezahlte das Komitee den Unterhalt.
    Anfangs war ich beindruckt von so viel Familienleben auf einmal. Außerdem hatte ich noch nie ein Zimmer beinah nur für mich gehabt. Es wurde ein weiterer Stuhl für mich an den Tisch gestellt. Das Essen schmeckte gut und wärmte mich nach dem langen Weg durch die Kälte. Jakov ließ mich die meiste Zeit nicht aus den Augen. Er ging wie Klara noch zur Schule. Ich war die Einzige, die schon eine Lehre machte. »Wann musst du morgen aufstehen?«, fragte Herr Granaat nach dem Essen. Ich musste einen Moment nachdenken, weil der Weg von hier aus doch viel weiter war. Doch da meinte er schon: »Oben steht ein Wecker für dich und Klara. Den kannst du selbst stellen.«
    Dann zeigte mir Klara das Zimmer. Es war ganz oben im Haus, noch höher gab es nur noch den Dachboden, wo die Kohlen lagerten. Das Zimmer war klein, aber doch mit dem Nötigsten eingerichtet. Klara hatte ein richtiges Bett und ich eines, das man tagsüber an der Wand hochklappen konnte. Vorm Schlafengehen lief ich noch einmal hinunter, um die Toilette zu benutzen. Dabei begegnete ich Jakov, dessen Zimmer auf diesem Stockwerk lag. »Schlaf gut«, sagte er leise und
schaute mich wieder so durchdringend an wie während des Abendessens. Sein Blick machte mich unsicher, aber ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, und schaute ihm ebenfalls direkt in die Augen. »Du auch, Jakov.«
    Als ich später im Bett lag und Klaras gleichmäßige Atemzüge andeuteten, dass sie schon eingeschlafen war, hörte ich noch lange den großen, altertümlichen Wecker auf einem kleinen runden Holztisch direkt neben meinem Bett laut ticken. Ich stellte ihn hinunter auf den Teppich, aber es half nicht viel. Er tickte und tickte und ich dachte: So ist das also, wenn man in einer Familie wohnt. Aber was wusste ich da schon...
    Â 
    Es war draußen noch dunkel, als mich das Ungetüm laut bimmelnd aus dem Schlaf riss. Schnell ging ich hinunter, um mich zu waschen und dann wieder nach oben, um mich anzukleiden. Als ich in die Küche kam und fragen wollte, was ich frühstücken dürfte, war nur Herr Granaat dort zu sehen. Er war noch unrasiert und schaute längst nicht mehr so freundlich drein wie am Vorabend. Dann schob er mir aber doch eine dünne Scheibe Brot mit etwas Sirup zu. »Du kannst doch bei der Arbeit frühstücken, oder?«, brummte er. Ich wagte nichts dagegen einzuwenden und zog wenig später hungrig los. Die anderen schliefen noch.
    Natürlich berichtete ich ausführlich von meinem ersten

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