Zu keinem ein Wort
noch etwas für meine kleine Schwester tun wollte. In der Halle traf ich auf die Directrice und auf Virrie, die mir bestätigten, dass nicht nur unseres, sondern auch alle anderen Heime in Amsterdam betroffen waren. Bei ihnen stand Sam, der als Fahrer für den Jüdischen Rat arbeitete. Er wusste inzwischen mehr. »Die sind alle zum Güterbahnhof an die Panamakade gebracht worden«, sagte er. »Man wollte Aufsehen in der Stadt vermeiden und hat deshalb die vielen Kinder gar nicht erst in der Schouwburg versammelt. Noch heute Abend soll der Zug nach Westerbork abfahren.«
Die Directrice ergänzte: »Sam hat den Auftrag, mit einem Lieferwagen Verpflegung dorthin zu bringen.«
Sofort ergriff ich seinen Arm: »Sam, bitte, ich will mit! Ich muss Jutta da rausholen!«
Virrie versuchte mich zu beruhigen: »Nicht so laut, Cilly! Sei froh, dass du heute Morgen hier bei der Arbeit warst!«
Und die Directrice fügte hinzu: »Das hat keinen Sinn, Kind. Wenn die merken, dass du eigentlich auch zum Mädchen-Waisenhaus gehörst, werden sie dich festhalten und dann kannst du gar nichts mehr machen.«
Aber mir war inzwischen alles egal: »Ich kann Jutta nicht allein lassen! Das habe ich unserer Mutter versprochen. Bitte, nimm mich mit zum Bahnhof, Sam!« Ich spürte, dass mir Tränen über die Wangen liefen.
Sam räusperte sich zweimal. Es war ihm anzumerken, dass ich ihm Leid tat, er andererseits die Warnung der Directrice jedoch sehr ernst nahm. SchlieÃlich sagte er, ohne uns anzuschauen: »Ich will versuchen, das für dich in Ordnung zu bringen, Cilly. Aber du kannst nicht mitkommen zum Bahnhof.« Bevor ich ihm danken konnte, fragte er noch: »Hast du einen Platz zum Schlafen für sie, falls ich sie freibekomme?«
Natürlich hatte ich keine Idee, aber mir würde schon etwas einfallen. Ich nickte. Sam drückte mir die Hand und ging über die StraÃe zur Schouwburg , wo sein Lieferwagen inzwischen voll geladen war.
In den folgenden Stunden hielt ich es kaum aus vor Angst. Mir wurde plötzlich klar, dass ich nicht nur für Jutta, sondern für uns beide einen Platz zum Schlafen finden musste. Voller Sorgen sah ich Sams Auto hinterher und ging dann mit schweren Schritten hinüber zur Crèche . Virrie versuchte mich zu trösten, aber ich konnte mich zum ersten Mal überhaupt nicht auf meine Arbeit
konzentrieren. Was war aus Suzy, Rosa und Lena geworden? Hätte ich Sam nicht auch nach ihnen fragen müssen? Alle paar Minuten lief ich hinunter zum Eingang, der zur StraÃe führte, aber Sam und sein Auto waren nirgends zu sehen.
Ich konnte an diesem Tag kaum richtig arbeiten. Meine Hände zitterten und jeder sah, dass ich in gröÃter Sorge war. Am frühen Nachmittag nahm mich die Directrice zur Seite und sagte: »Ich war in der Mittagspause beim Jüdischen Rat. Sie haben für dich eine Familie in Amsterdam-Süd. Und für Jutta finden wir auch noch was.«
Ich war ihr so dankbar für diese Worte, denn das bedeutete, dass auch sie daran glaubte, dass Jutta mit Sam zurückkommen würde. Etwas später ermutigte mich auch noch ein anderes Mädchen, Netty, die noch bei ihren Eltern wohnte: »Wenn alle Stricke reiÃen, kannst du die nächsten Nächte bei uns bleiben...«
Dann, am späten Nachmittag, drauÃen begann es bereits zu dämmern, rief mich die Directrice : »Cilly, komm schnell zum Seitenausgang. Sam ist zurück!« Natürlich - das war viel klüger von Sam gewesen, als mit dem Wagen vor dem Haus zu parken, wo man ihn auch von der Schouwburg hätte sehen können. Ich rannte die wenigen Treppen hinunter und entdeckte im ersten Moment nur Sam.
»Wo ist Jutta?«, rief ich. War es doch schief gegangen?
»Pssst!« Sam legte einen Finger auf den Mund. Und dann rief er leise in das Innere des Autos: »Du kannst jetzt rauskommen, Jutta.« Unter einem Berg von Kleidung,
der auf dem Boden des Wagens lag, bewegte sich plötzlich etwas - und Jutta krabbelte mit steifen Gliedern hervor. Ich konnte meine Freude kaum fassen! Sam hatte es tatsächlich geschafft!
Inzwischen war auch die Directrice hinzugekommen und trieb uns an, schnell nach drinnen zu gehen. Jutta humpelte etwas, als sie die Treppen vor mir hinauflief. »Ist was passiert?«, fragte ich sie.
»Nein, nur mein linkes Bein ist eingeschlafen«, sagte sie und lachte.
Auch ich musste plötzlich
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