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Zu keinem ein Wort

Titel: Zu keinem ein Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz van Dijk
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Abend in der Niersstraat. Lilly hörte eine Weile aufmerksam zu und fragte dann: »Und gefällt dir der Junge aus Wien?«
    Â»Weiß ich noch nicht«, entgegnete ich.

    Dann wollte ich wissen, ob jemand etwas Neues von Rosa, Suzy oder Lena erfahren hatte. Suzy hatte mit der Directrice sprechen und sich von ihr trösten lassen können. Sie war inzwischen ebenfalls bei einer Familie in Amsterdam untergebracht. Von Rosa ging das Gerücht, dass sie später noch vom Zug aus hatte fliehen können. Nur von Lena gab es keine guten Nachrichten.
    Am Abend war Jakov schon lange von der Schule zurück, als ich heimkam. Bevor ich zu den anderen ins Wohnzimmer ging, berichtete ich ihm davon, dass ich am Morgen kaum etwas zum Frühstück erhalten hatte. »Siehst du«, Jakov nickte, »so ist der - dabei bekommt er genug Geld, um uns ausreichend zu essen zu geben.«
    Auch am zweiten Abend wurde während des Essens nicht viel geredet. Niemand fragte mich etwas und so löffelte ich still meine Suppe vor mich hin. Danach ging ich hinauf in mein Zimmer. Klara blieb noch unten, um sich alte Filmzeitschriften anzuschauen. Ich wusste wenig von ihr, auch nicht, woher sie genau kam, nur dass sie einmal Schauspielerin werden wollte. Für mich war das kleine Zimmer etwas so Besonderes, dass ich gern die unbekannte Ruhe genießen mochte. Ich lag auf dem Bett und lauschte den noch unbekannten Geräuschen im Haus. Irgendwo ließ jemand Wasser laufen. Wie es Jutta wohl bei Netty getroffen hatte? Dann hörte ich Schritte. Einen Augenblick später klopfte es vorsichtig an der Zimmertür. Ich stand auf und öffnete. Jakov stand mit einem Blecheimer in der Hand auf dem Flur.
    Â»Willst du Bücher von mir leihen? Ich habe ein paar deutsche Bücher, die ich dir gerne geben kann.« Er
sprach so leise, dass man uns unten nicht hören konnte.
    Â»Danke«, antwortete ich. »Und was machst du hier oben mit dem Blecheimer?«
    Â»Ich soll Kohlen runterbringen. Das gehört hier zu meinen Aufgaben.« Dann lächelte er plötzlich: »Ich stehe schon ein paar Minuten vor deiner Tür. Aber ich wusste nicht, ob ich dich stören darf.«
    Â»Aber du störst doch nicht!«, rief ich und musste lachen, weil er immer noch den leeren Eimer in der Hand hielt, während er mir ganz direkt in die Augen schaute.
    Â»Nicht so laut...«, flüsterte er und winkte mir zu, ein paar Schritte mit ihm Richtung Dachboden mitzugehen.
    Hier stellte er endlich den Eimer ab und nahm sachte meine Hand. »Du bist so schön, Cilly«, sagte er mit heiserer Stimme. Ich war froh, dass es hier dunkler war als vor meinem Zimmer, denn natürlich war ich rot geworden und wusste absolut nicht, was ich darauf sagen sollte. Unvermittelt ließ er meine Hand wieder los, packte den Eimer und schaufelte ihn im Akkord voll Kohlen, als würde er dafür bezahlt.
    Als er danach bei mir vorbeikam, drückte er mir einen Kuss auf die Wange und sagte: »Morgen bringe ich dir Bücher.« Dann lief er die Treppe mit dem vollen Eimer nach unten.
    Mir schlug das Herz bis zum Hals. Ich betastete meine Wange an der Stelle, wo er mich geküsst hatte, und bemerkte eine Spur von Kohlenstaub auf meinen Fingerspitzen. Ich glühte innerlich, ein Gefühl, das ich nie
zuvor erlebt hatte. Warum war er nur so schnell weggelaufen? Ich traute mich nicht, zu seinem Zimmer zu gehen. Und unten im Wohnzimmer bei den anderen wollte ich schon gar nicht sitzen. Ich ging früh zu Bett an diesem Abend, konnte aber lange keine Ruhe finden. Als Klara hereinkam, tat ich so, als wäre ich schon eingeschlafen. Aber wie am ersten Abend lauschte ich dem Ticken des Weckers und fühlte wieder das unbekannte Glühen in mir.
    Â 
    Am nächsten Tag lenkte mich zunächst die gute Nachricht der Directrice ab, dass Jutta inzwischen ganz offiziell bei Nettys Familie wohnen durfte und Sam ihr sogar noch geholfen hatte, eigene Lebensmittelkarten zu bekommen. Sie würde bald in der Crèche vorbeikommen und mir ausführlich berichten. Wie schaffte Frau Pimentel es nur, für so viele von uns ein offenes Ohr zu haben? Bei all dem machte sie manchmal sogar noch Scherze mit ihrem kleinen Hund Brunie, den sie sich, wenn er nicht artig gewesen war, unter den Arm klemmte und ihm eine Strafpredigt hielt. Brunie legte dann den Kopf schief, als würde er sie verstehen, und sobald er wieder mit vier Pfoten auf dem Boden war,

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