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Zu keinem ein Wort

Titel: Zu keinem ein Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz van Dijk
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ich mir nicht vorstellen. Das ganze Haus ist auf einmal so leer und kahl. Deine lachenden Augen, die mir immer
entgegenglanzten - wo sind sie? Deine vollen Lippen... ich will nicht weiter aufzählen. Du bist auf einmal weg und das stimmt mich so traurig... Ach, meine Worte könnten doch nie das ausdrücken, was mich so ganz erfüllt... du bist mir lieber als mein bisschen Leben. Dein Jakov
    Â 
    An einem der ersten warmen, sonnigen Tage - es muss ein Sonntag Anfang Mai gewesen sein - holte mich Jakov ab und wir beschlossen bermütig, mit der Fähre ein Stück über den Hafen hinaus bis zu einer kleinen Halbinsel zu fahren, die damals als Erholungsgebiet beliebt war. Natürlich war so etwas für Juden längst verboten. Schon seit 1941 durften wir weder Straßenbahnen noch Fährboote benutzen. Zwischendurch bekam Jakov Panik, dass uns jemand anzeigen könnte, denn wir trugen natürlich den gelben Stern. Er sagte leise zu mir, dass auch für uns bald die Zeit zum Untertauchen kommen werde. Ich war erstaunt, dass ich so ruhig blieb und keine Angst hatte. Die anderen Leute auf der Fähre bemerkten uns, aber niemand war unfreundlich, niemand sagte etwas.
    Nie im Leben werde ich diesen Tag vergessen. Es war vielleicht der einzige Tag in all diesen schlimmen Jahren, an dem ich es schaffte, einfach nur jung zu sein. Jung und verliebt - und voll von jener guten Energie, die uns gegen alles Böse zu schützen schien. Wir breiteten eine Decke am Ufer aus, genossen die warme Sonne und unsere jungen sehnsüchtigen Körper. Der Rest der Welt war weit weg, viel weiter, als uns selbst das schnellste Fährboot der Welt hätte bringen können.

    Erst am späten Nachmittag, als die Sonne langsam zu sinken begann, rollten wir die Decke zusammen und gingen Hand in Hand zurück zur Anlegestelle. Als unsere Fähre sich dem Anleger in Amsterdam näherte, bemerkten wir schon aus einiger Entfernung, dass es auf der Straße hinter den Kais eine Polizei-Kontrolle gab. Was nun? Jakov zog seine Jacke aus, aber ich konnte unmöglich vor all den Leuten auf dem Fährboot, den gelben Stern von meinem Kleid abreißen. Wir sahen uns erschrocken an und versuchten gleichzeitig, wenigstens äußerlich ruhig zu bleiben.
    Zum Glück herrschte ein großes Gedränge beim Anleger. Es gelang uns in letzter Minute, über ein Gitter zu klettern und davonzulaufen, ohne dass die kontrollierenden Polizisten uns bemerkten. Zu niemandem sprachen wir über unser Abenteuer.
    Â 
    Es war nur ein paar Tage später, als Jakov eines Morgens noch vor der Schule atemlos zu mir in die Crèche gerannt kam und, kaum hatte er die Tür hinter sich geschlossen, rief: »Jutta ist heute Nacht abgeholt worden! Jutta und die ganze Familie, bei der sie wohnte!«
    Innerlich schlug mein Herz bis zum Hals, aber ich versuchte, einen klaren Kopf zu behalten: Was war zu tun? Mit wem konnte ich sprechen? Sam hatte ich schon länger nicht mehr gesehen. Als ich schon kurz davor war, mich in meiner Verzweiflung erneut an unsere Directrice zu wenden, kam zufällig Herr Süskind in den Kindergarten. Es war noch vor seinem üblichen Dienstbeginn. Vermutlich hatte er noch Dinge zu erledigen, die nicht jeder mitbekommen sollte. Und doch

blieb er stehen und hörte mir aufmerksam zu, als ich ihn direkt und so ruhig wie möglich um Hilfe bat. Er fuhr sich einen Moment mit der Hand durch sein kurz gelocktes Haar und sagte dann: »Ich kenne nur einen, der dir helfen könnte... »Er machte kehrt und lief hinüber zur Schouwburg , wobei er mir noch zurief: »Warte hier, bis ich zurück bin!«

    Cilly in Schwesterntracht mit Margerite am Kragenknopf, Frühjahr 1943.
    Jakov und ich sahen uns fragend an. Immerhin hatte er nicht sofort abgelehnt.
    Nach ein paar Minuten war Herr Süskind zurück und sagte, nachdem er sich vergewissert hatte, dass uns außer Jakov niemand hören konnte: »Geh nachher, wenn das Essen gebracht wird, mit den anderen hinüber zur Schouwburg und warte, bis dich einer der Wachleute, ein junger SS-Mann mit dunklen, glatten Haaren, anspricht. Ich habe ihm gesagt, wie du aussiehst und dass du zu deiner Schwesterntracht eine Margerite am Kragenknopf tragen wirst. Falls es dort nicht klappt, ihn zu sprechen, werde ich ihn fragen, ob er später zu dir in die Crèche kommen kann.«
    Die Margerite galt als geheimes Zeichen des holländischen Widerstands, seit

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